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An Oskar Baum
Lieber Oskar, zuerst meinen Dank für die großartige Beschenkung.
Wenn ich bedenke, dass Du für das schöne und selbstverleugnende
Klavierspiel nichts bekommen hast als das Vergnügen, mich mit Herrn
R. sprechen zu hören (ich hätte ihm gern Deine Mitteilung ausgerichtet,
aber ich verstehe sie nicht), ich dagegen Ottla diese zwei Überraschungen
aus dem Koffer ganz unerwartet ziehen sehe, nur verdient durch meine Lust,
- dann finde ich (immer wieder einmal), dass etwas in der Welt nicht
stimmt. Besonders der Himbeersaft, ein reiner Genuß vom ersten Tropfen
bis zum letzten; fast hätte ich mir ihn infolge meiner Gier verdorben,
als ich aus Ungeduld den Pfropfen in die Flasche stieß, aber Ottla
hats noch für mich gerettet und rettet es jeden Tag durch Verzicht.
Und noch etwas Gutes hat der Saft, da er eben etwas Edles ist, er nimmt
sogar die Gier nach sich selbst und ich trinke ihn jetzt nur noch aus Freiheit
und weil er da ist und weil er an eine Wohltat erinnert.
Hier hat sich, wie es sich gehört, nichts geändert, außer
dass Du fort bist; wenn Du also wiederkommst, wird alles vollständig
wie früher sein, Du brauchst nur zu kommen. Ich nur bin, vielleicht,
um von vornweg dem Namen Glückskind auszuweichen, in den letzten Tagen
etwas trübseliger als sonst, aber das ist nur das Auf und Ab der Zeiten.
Du aber hattest Glück, weil Du die Mäuse nicht erlebt hast. Etwa
drei Tage nach Deiner Abreise - den Kater nehme ich nicht mehr mit - werde
ich in der Nacht durch Lärm geweckt, zuerst denke ich fast, es müsse
doch der Kater sein, bis es gleich klar wird, dass eine Maus, schamlos
wie ein kleines Kind, mit der Falle spielt, d. h. sie zupft vorsichtig
den Speck fort, während die Falltür laut auf und ab klappt, aber
ohne sich so weit zu öffnen, dass die Maus durchfällt. Die
von Max in gutem Glauben empfohlene Falle ist mehr Wecker als Falle. Übrigens
wurde in der nächsten Nacht auch aus einer anderen Falle der Speck
gestohlen. Ich hoffe, dass Du nicht glaubst, ich schleiche im Halbschlaf
unter die Kredenz und hole selbst den Speck heraus. Übrigens ist es
in den allerletzten Tagen still geworden.
Die sizilianische Sängerin spricht also schlecht vom Tagebuch.
Ist das merkwürdig oder herz- und verständnislos? Herz- und verständnislos
ist es, ihr das Buch zur Besprechung zu geben, ebenso gut hätte man
es der Gräfin Tolstoi geben können. Was soll die Frau sagen,
wenn sie plötzlich in das Tagebuch hineinkommt, noch erhitzt vom Tennisspiel,
das sie unter seinem Fenster gespielt hat. "Konservatismus schadet
der Kunst immer" ist übrigens fast ein Zitat aus dem Tagebuch
selbst, wir haben es gelesen.
Wie ist Krastik in Prag mit Dir angekommen? Und das Buch der dramatischen
Geschichten? Hat Wolff geschrieben? Und der Schlaf?
Mit herzlichen Grüßen Dir und Deiner Frau.
Franz
Tagebuch: von Leo Tolstoi
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at