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Max Brod an Franz Kafka
[Prag, 21.12.1918]
Lieber Franz -
Ich vergaß dir gestern folgendes zu sagen, was jetzt geschrieben
vielleicht komisch klingt, aber ganz ernst gemeint ist. Es sind Gedanken,
wie man sie vor einer Reise hat. Sie gelten aber nicht nur für den
Fall dieser Reise, sondern überhaupt für jeden Fall, wenn ich
vor dir sterben sollte und nichts gegenteiliges verfügt ist.
Ich denke natürlich nur an einen Reiseunfall
und nehme die Sache überhaupt zu wichtig. Aber ich wollte es dir schon
lange in präziserer Form sagen und vergaß immer.
Ich bitte dich also, im Falle meines Todes sofort
in mein Bureau zu kommen. In der mittelsten Schublade des der Türe
nächsten Schreibtisches liegen, und zwar in der linken hinteren Ecke
zwei Pakete in weißem Papier mit der blauen Aufschrift "für
Franz Kafka" nebst deiner genauen Adresse. Diese Schublade selbst
ist unversperrt. Sie befindet sich also nicht im Schreibtisch am
Fenster, sondern im Schreibtisch nebenan, an dem ich sonst nicht sitze.
- Diese beiden Pakete sollst du sofort an dich nehmen und uneröffnet
sofort verbrennen. - Eventuell werden dir die Kollegen das Fach zeigen,
falls du es trotz meiner Beschreibung nicht findest.
Was sonst in dem Fach ist, sollst du gleichfalls
nehmen und nach deinem Taktgefühl vernichten oder aufheben. Das ist
minder wichtig.
Das dir übergebene verschlossene Paket,
das du schon in deiner Wohnung hast, ist ebenfalls sofort bei der
Nachricht von meinem Tode uneröffnet zu vernichten. - Die Vernichtung
dieser 3 Pakete ist mir unendlich wichtig, viel wichtiger als die eventuelle
Herausgabe eines literarischen und musikalischen Nachlasses, die ich gleichfalls
dir in Verbindung mit den mir Nächsten anvertraue.
__________
Doch Montag wenn du diesen Brief bekommst, bin
ich schon wieder in Prag. Dienstag Mittag 2 Uhr auf Wiedersehen!
Meiner Frau habe ich für den armen Ostjuden
in deinem Namen 20 K gegeben und werde auf diese Art allmählich das
dir zugefügte Unrecht gutmachen, indem ich stets deine Spenden verdoppeln
werde.
Servus! Sei mir wegen dieses Briefes nicht böse.
Er lag mir schon lang im Sinn. -
Max
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at