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Max Brod an Franz Kafka
[Prag]
Lieber Franz,
Deine Besorgnisse meinetwegen sind unbegründet. Ich bin seit Anfang
dieser Woche ganz gesund, im Amt u.s.f. Nur hat mich gleich ein schwerer
Schlag getroffen: der jähe Tod von Frau Bertha Fanta,
den du wohl aus der heutigen Zeitung weißt. Ich habe diese Frau wirklich
sehr gern gehabt. Sie war ein ganz reiner Mensch und gegen ihre kleinen
Fehler führte sie einen leidenschaftlichen Krieg. Immer hat sie so
am Leben gehangen, den Tod gefürchtet, über die Unsterblichkeit
philosophiert. Zufällig hat Felix Weltsch in den drei letzten Sonntagsvorträgen,
bei denen sie auch anwesend war, einen eigenen Begriff der Unsterblichkeit
aufgestellt. Felix sagte mir, dass ihm Frau Fanta sagte: damit könne
sie sich nicht zufriedenstellen . . . Heute weiß sie die Wahrheit.
Bis zum letzten Moment war sie geistig tätig.
Am Dienstag noch Nachmittag und Abend in einem Vortrag. Mittwoch Mittags
noch las sie ein Buch von Simmel und beschäftigte
sich in der Küche. Plötzlich ein Schlaganfall, sie kam nicht
mehr zum Bewußtsein, starb Abends 7 Uhr. An sich kann man sich keinen
schöneren Tod wünschen; doch mit 52 Jahren! Sie hätte noch
30 Jahre lang leben können. In letzter Zeit lernte sie hebräisch
und bereitete alles vor mit Bergmann nach Palästina
zu gehen. - Natürlich starb sie an Folgen der Nierenschrumpfung. Schnitzer hat immerhin ihr Leben um 3 Jahre, die Dr
Kral für ein Wunder erklärt, verlängert. In letzter
Zeit hatte sie die sehr umständlichen Bäder vernachlässigt.
In der Familie herrscht Vernichtung. Namentlich der Sohn. Er sprach mir
von dem "frischen Dufte, der von ihren Wangen ausgieng", -
das war nicht Poesie, es war etwas anderes.
Man hat Tagebücher, literarischen Nachlaß
gefunden. Wir wollen eine Trauerfeier veranstalten. - Ich könnte dir
noch stundenlang von dieser ungewöhnlichen Frau schreiben, die dir
wohl nicht so nahe gestanden ist, deren Tod aber für mich einen wirklichen
Verlust bedeutet. Und dabei habe ich sie in meiner schrecklichen Arbeitslast
in den letzten Monaten gewissermaßen von mir abgehalten. Habe sie
nur ganz flüchtig gesehen in letzter Zeit, so sündigt man an
allen Menschen. Und ich höre nun, dass sie oft so gern mit mir
gesprochen hätte . . .
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Es geht dir also in Schelesen nicht ganz gut??
Ich bin sehr besorgt. Was für Nachwehen der Grippe sind das, von denen
du schreibst? - Ich litt nur 8 Tage an unternormaler Temperatur und schrecklicher
Gemütsdepression; vorher lag ich 8 Tage zu Bett, doch kurierte ich
mich nach einem eigenen System.
Jetzt habe ich wieder sehr viel Arbeit. Ende Jänner
soll ich zu einem Kongreß aller Nationalräte
in die Schweiz fahren, vielleicht auch zur Friedenskonferenz
in Paris.
Dein Max
Schreibe bald, wie es dir geht.
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Über die Reklam. schreibe ich dir morgen. Ich war
schon auf der Hauptpost, doch ohne befriedigende Auskunft zu erhalten.
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
Bertha Fanta: Siehe 1914 Anm. 5. Sie ist am 18. Dezember 1918 gestorben.
Simmel: Der Kulturphilosoph Georg Simmel (1858-1918) hat 1918 sowohl Der Konflikt der modernen Kultur als auch Lebensanschauung. Vier metaphysische Kapitel veröffentlicht.
mit Bergmann: Frau Fantas Schwiegersohn, der Philosoph Hugo Samuel Bergmann (1883-1975).
Schnitzer: Siehe 1917 Anm.10.
Dr Kral: Dr. Heinrich Kral war Hausarzt der Familie Kafka.
Kongreß aller Nationalräte: Hierzu schreibt Hugo Bergmann am 30. Dezember 1918 an Martin Buber aus Prag: "Vorige Woche war Leo [Herrmann] hier und verpflichtete mich für ein in der Schweiz zu errichtendes Bureau der Nationalräte, aber auch das wurde wieder von Berlin suspendiert" (BB II 20).
Friedenskonferenz: Brod ist nicht nach Versailles gefahren. Dort hat Martin Buben der an der Konferenz teilnahm, Mitte März 1919 den bedeutenden Aufsatz "Vor der Entscheidung" (Der Jude III, Heft 12, S. 541-546) geschrieben.
Über die Reklam.: Siehe Kafkas Brief vom 29. November.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |