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[Postkarte. Schelesen, Stempel: 17.12.18]

[An:] Herrn Dr Max Brod

Prag V Břehová ulice č8

[Abs.:] Dr Kafka Pension Stüdl Schelesen b. Liboch


Lieber Max, Du, unerschütterlich, und auch Dich hat es hingelegt. Nun bist Du ja schon aus dem Bett. Ich habe gar nichts gewußt, meine Mutter schrieb mir nicht, niemand. Schreib mir noch ein paar Worte über Deinen Zustand. Während meines Fiebers warst Du mir etwas wie die Bürgschaft des Lebens. Mögest Du wenigstens vor den kleinen Nachleiden bewahrt bleiben, die bei mir hinter der Grippe herkamen. Immerhin scheinst Du ja über eine Woche lang gelegen zu sein. Deine Frau ist gesund geblieben? Solltest Du nicht auf das Land fahren, Dich erholen? Leider spricht manches dagegen Dich hierher einzuladen, aber zur Not ginge es doch und ich würde Dich nicht schlecht pflegen, da ich doch Erfahrungen im Gepflegtwerden habe. Ich überlege, ob ich meine Mutter zu Dir schicken soll, ob sie Dich stören oder vielleicht gar nicht mehr zuhause antreffen würde, da Du schon im Jüdischen Nationalrat sein könntest. Vielleicht schicke ich nur das Fräulein.

Leb wohl, schreib bald, grüße Felix und Oskar.

Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


auch Dich . .. hingelegt: Die um diese Zeit grassierende spanische Grippe, an der Kafka schon erkrankt war. Vgl. Kafkas Brief an Oberinspektor Pfohl vom 25. November 7 918 (AS 299).


im Jüdischen Nationalrat: In Prag (wie auch in Wien) war ein "Jüdischer Nationalrat" nach dem Vorbild der osteuropäischen Minoritäten geschaffen worden.


das Fräulein: Fräulein Marie Werner. Brod schreibt: "In Kafkas Elternhaus lebte eine Gouvernante, die alle vier Kinder miterzogen hatte und dann als eine Art Vertrauensperson im Hause blieb und immer voll echter Teilnahme für Franz war. Sie entstammte einer tschechisch-jüdischen Familie, ich habe sie nie anders als Tschechisch sprechen hören. Man nannte sie immer nur "das Fräulein"" (Br 510).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at