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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

29.3. [1918]
 

Lieber Franz -

Dein gestern eingelangter Brief enthielt gar nichts über dich. Es war eigentlich nur so, als ob du einiges, wonach ich dich gefragt hatte (Kierkegaardisches), sehr brav beantwortet hättest, ohne von dir aus einen Bericht, irgend etwas Persönliches hinzuzufügen. Man soll zwar Briefe nicht kritisieren, das fühle ich gut, aber ich tue es ja auch nicht eigentlich, sondern will hiemit nur noch einen zweiten privateren Brief aus dir herauslocken.

    Und eine Bitte dabei: Von Otto Pick erhielt ich auf meine Absage beiliegenden, überraschend respektablen Brief. Ich habe beiliegende Antwort geschrieben, unterbreite sie aber noch deinem Urteil, ehe ich sie abschicke.

    Ich bitte also um baldige Rücksendung und Meinung.

    Wie steht es mit deinem Husten?

    Von Wolff wegzugehen rate ich nicht. Die Desorganisation ist jetzt, wie die Buchhändler sagen, bei allen Verlagen allgemein. Nicht einmal der Insel-Verlag kann (wegen Papiernot) seine Klassiker liefern, - ja nicht einmal Staackmann Neuauflagen seiner begehrtesten Bartsche! Mit nassem Auge berichtete dies Andre.

    Damit du in diesem Brief nicht lauter Belästigung und Trauerbotschaft empfängst, lege ich (bitte retour) eine Notiz aus dem unsterblichen Paris bei, die in der "Morgenpost" stand, aber, wie ich glaube, nicht im "Tagblatt".

    Wann kommst du wieder nach Prag?

    Esther wird am 20. April in Königsberg gespielt. Ich bin also wohl vom 15. -25. April verreist.

    Laß es dir recht gut gehen und schreibe auch einmal den andern Freunden!

Dein Max        


P.S. Eine Drucksachensendung mit deinen Korrekturen sandte ich dir vorvorgestern.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Kierkegaardisches: Brods Gedanken zu diesem Thema, das jetzt in dem Briefwechsel fallengelassen wird, hat er in seinem Artikel "Kierkegaard" zusammengefaßt, der in der Neuen Rundschau (Aprilheft 1921) erschienen ist.


Von Otto Pick . . . Brief: Dieser Brief an Brod lag der Korrespondenz nicht bei, wohl aber ein (undatierter) Brief Otto Picks an Kafka aus dem Kriegsdienst, der einiges in dieser Sache aufklärt und daher vollständig abgedruckt wird:

"Lieber Dr. Kafka,

    diese Sammelbuch-Angelegenheit ist durch Ihre und Dr. Brods Absage für mich erledigt und es wäre ja auch sinnlos, ein Buch erscheinen lassen zu wollen, dessen Eigenart sich auf Auslassungen und Lücken beschränken würde. Das einzig Erfreuliche an dieser Sache ist die Klärung, die Dr. Brods Verhältnis zu mir erfahren und die gute Nachricht über Ihr Befinden, welche Ihr Schreiben mir gebracht hat. Ich habe, nachdem ich von Baum und anderen von Ihrem Landaufenthalt erfahren hatte, oft genug Lust empfunden, Ihnen zu schreiben. Nur haben mich aber die Enttäuschungen all der kurzen Urlaubsbegegnungen mit von mir geschätzten Menschen so unsicher und bänglich gemacht, dass ich auch heute nicht weiß wie Sie es auffassen werden wenn ich Ihnen sage, dass ich mich aufrichtig und sehr freuen würde, nun öfter von Ihnen Nachricht zu bekommen.

    Sie leben auf dem Lande und sehen Ihre Zukunft klar vor sich. Auch ich bin in einem Städtchen, wo man sich ganz ländlich fühlt, - fühlen könnte, wenn nicht eine gewisse Beklemmung wäre, die mich seit Monaten quält. Besonders jetzt, heute an einem Sonntag, der mittags den ersten Transport in die Friedensheimat entlassener Rumänensoldaten brachte, mitten in die wartenden Angehörigen und Freunde hineinschüttete. Jetzt, in diesem Lande, sieht man auf Schritt und Tritt Wunschträume verwirklicht; Wunschträume anderer. -

    Ich aber bin so weit, dass ich noch immer zögere, den bald fälligen Heimaturlaub zu erbitten. Ja, so weit bin ich. Ich fühle und weiß mich verschollen. Und das schmerzt manchmal.

    Ihnen aber wünsche ich eine gute und dauernde Genesung und bin mit herzlichen Grüßen

    Ihr Otto Pick

Und Dank für Ihre Prosastücke im Wolff-Almanach, der 2 Wochen lang meine einzige Lektüre war."

(Pick bezieht sich auf Kafkas Prosastücke "Ein Landarzt" und "Der Mord", die im Januar 1918 in Kurt Wolffs Almanach Die neue Dichtung erschienen waren.)


Staackmann ... Bartsche: In den Anzeigen des Leipziger Verlags L. Staackmann nahmen um diese Zeit die Romane von Rudolf Hans Bartsch (1873-1952) stets eine Ehrenstelle ein.


eine Notiz: Nicht ermittelt.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at