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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

3.3.18
 

Lieber Franz, -

Heute oder morgen schicke ich dir die zweite Drucksachensendung, während ich von dir seit 14 Tagen ohne Nachricht bin. - Ich berufe mich darauf, dass du mir bei deiner Abreise den ersten Brief versprochen hast. - Es zeigt sich eben doch, dass dein Landaufenthalt die Gefahr in sich schließt, dass unsere seelische Verbindung dünner wird. Vielleicht ist das überhaupt nicht zu vermeiden, denn im Briefschreiben liegt eine Last, die der mündliche Verkehr nicht an sich hat, und selbst wenn man also alles schreiben könnte, was man sagen will, wäre mindestens um diese Schwerfälligkeit die Beziehung verändert. Vielleicht ist dir das auch nicht so traurig wie mir, - ich meine: diese Veränderung, Verblassung. - Ich weiß zwar, dass du mir deshalb nicht geschrieben hast, weil du mich in vieler Arbeit sahst und mir gewissermaßen eine baldige Antwort ersparen wolltest. Aber das ist nicht der richtige Weg. Und auch deine beste Absicht kann die Schwierigkeit, die sich zwischen uns zu stellen beginnt, nicht auflösen. Dieses Erraten und Erratenmüssen, wo früher doch zumindest eine relative Sicherheit war. -

    Nachdem ich längere Zeit an Kierkegaard herumgeschleckt, bald dies, bald jenes begonnen habe, ohne recht Wurzel zu fassen, bin ich jetzt auf eine Arbeit von ihm gestoßen, die mir repräsentativ scheint. Sie steht im Band "Stadien auf dem Lebenswege" und heißt: "Schuldig - Unschuldig? Eine Leidensgeschichte". - Hier scheint er so ziemlich ohne Verkleidung seine eigene Verlobungsgeschichte zu erzählen. - So weit ich es bis jetzt beurteilen kann, hat er mir aber nichts zu geben. Denn sein Fall ist von dem meinen grundverschieden. Die Ähnlichkeit mit deinem Schicksal ist wohl auffallend, aber doch mehr im Äußerlichen, denn das Grundmotiv des Bruches ist bei ihm, wenn er sich recht erkennt, etwas Negatives, nämlich seine Schwermut. Du dagegen berufst dich auf positive Möglichkeiten. Sollte das auf den Gegensatz christlich : jüdisch hinauslaufen? - Was ihn von mir distanziert, ist die Merkwürdigkeit, dass er sich zwar als tadellos Liebender, aber als zur Ehe ungeeignet fühlt. Während bei mir die Sache umgekehrt liegt. Zumindest ist mir seine Skepsis, dass vollkommene Liebe nicht zur vollkommenen Ehe ausreichen soll, gänzlich fremd. Die Fähigkeit, vollkommen zu lieben, vorausgesetzt (aber an dieser Voraussetzung hapert es wohl) würde ich mir die Ehe nicht nur zutrauen, sondern ganz im Sinne des Kierkegaardschen Beamten auch als höchstes Gut zu schätzen wissen. -

    Neulich war ich bei Oskar Baum, wegen des peinlichen literarischen Abends. - Seine Ehrlichkeit ist jetzt außerordentlich und wohltuend. Trotzdem scheint er mir überempfindlich und durchschaut nicht völlig, wie nichtig diese Dinge sind. Er hat aber Recht, wenn er von mir verlangt, ich solle alles, was ich anfange, auch ordentlich machen. Arnold Beer ist eben noch in mir. - Aber unrichtig bezieht er das auf den literarischen Abend, für den ich mich nicht verantwortlich fühlen kann, weil ich nur der Anreger war - und nicht die ganze Durchführung übernommen hatte. Und war er denn wirklich so arg? - Wenn nicht zufällig durch Heiserkeit meiner Frau Wolfenstein weggefallen wäre, hätte er ein sehr hohes Niveau gehabt.

    Ich habe mich mit Baum ausgezeichnet verständigt. Wir stehen jetzt besser als je.

    Von Pick bekam ich eine Einladung zu einer Anthologie Prager Dichtung. Ich habe abgelehnt und ihm offen geschrieben, dass ich mit Rücksicht auf seine Stellung zu meinen letzten Arbeiten u.s.f. - Richtig? - Was hast du geantwortet? - Im Ablehnen liegt ein wunderbarer Reiz, der aber irreführen kann.

    Am 10.III. ist die Uraufführung in Dresden, am 16.III. die in Königsberg. Wenn ich Paß und Urlaub bekomme, will ich hinfahren. Es ist leider sehr fraglich. - Auch sonst viel Laufereien, Plagen. -Was hast du zu Liebstöckl und meiner Antwort gesagt? Das wahre Leben ist anderswo oder nirgends. - Schreibe von dir und deiner Anstalts-Angelegenheit. -

Dein Max        


N.B. Du hattest so ein kleines Büchlein über Kierkeg. und seine Braut. Wie heißt es? Und welcher Verlag?

Über deinen Roman, der mich ganz hat, nächstens!



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


"Stadien auf dem Lebenswege": Sören Kierkegaard, (Gesammelte Werke in 12 Bänden, hrsg. von Hermann Gottsched und Christoph Schrempf, Bd.4:) Stadien auf dem Lebensweg (Kopenhagen 1845, übersetzt von Christoph Schrempf und Wolfgang Pfleiderer), Jena: Diederichs 1914. Brod bezieht sich auf die Schrift: ",Schuldig?"/"Nichtschuldig?" Eine Leidensgeschichte. Psychologisches Experiment von Frater Taciturnus" (S.163-363 dieses Bandes).


des peinlichen literarischen Abends: Eine Tagebuchnotiz Brods zum 238 13. Februar 1918 lautet: "Vortrag Baum. Kafka erschien plötzlich [aus Zürau]." Daraus erklärt sich, dass Kafka - der am 19. Februar Prag wieder verließ (H 120) - über diesen "peinlichen" Abend Bescheid wußte (siehe seinen Brief vom 5. März).


Arnold Beer: Der Held des gleichnamigen Romans von Brod (siehe 1912 Anm.3).


Wolfenstein: Der Lyriker und Dramatiker Alfred Wolfenstein (1883-1945). Auf Brods Betreiben hin waren Gedichte von ihm in Der Jude (Augustheft 1917) erschienen; Brod hatte an Buber geschrieben: "Sie aber sollten in der Revue . . . auch die besten Dichter, die jüngste Generation vereinen z. B. Werfel, Kafka, Wolfenstein" (BB I 429).


Pick ... Prager Dichtung: In der Sammelschrift Das jüdische Prag, Prag: Verlag der Selbstwehr 1917 hatte Otto Pick unter dem Titel "Prager Dichter von ferne gesehen" über Oskar Baum, Franz Kafka, Franz Werfel und Rudolf Fuchs berichtet. Von der Herausgabe der erwähnten "Anthologie Prager Dichtung" hat er sich jedoch zurückgezogen (siehe Anm.55 unten); diese ist vielmehr als Deutsche Dichter aus Prag. Ein Sammelbuch, hrsg. und eingel. von Oskar Wiener, Wien-Leipzig: Strache 1919, Ende 1918 erschienen. In dem (Herbst 1918 datierten) Vorwort zu diesem Buch - das Beiträge von Friedrich Adler, Oskar Baum, Max Brod, Rudolf Fuchs, Auguste Hauschner, Camill Hoffmann, Egon Erwin Kisch, Paul Kornfeld, Paul Leppin, Gustav Meyrink, Otto Pick, Rainer Maria Rilke, Hugo Salus, Johannes Urzidil, Franz Werfel, Ludwig Winder u.a.m. enthielt und mit Zeichnungen von Friedrich Feigl versehen war - heißt es: "Es war nicht leicht, die vielfach gegensätzlichen Überzeugungen und Richtungen unter ein gemeinsames Dach zu bringen . .. Nicht nur jene, die in Prag geboren sind oder ihre Jugend hier verbrachten, auch die andern, die nur der Zufall für ein paar Jahre hierher verschlug, die aber durch ihr ferneres Leben von den Einflüssen und Eingebungen der seltsamen Moldaustadt nicht wieder loskommen konnten, auch sie gehören zu uns."


Liebstöckl ... Antwort: Der Literat und Schauspielreferent Hans Liebstoeckl (1872-1934) hatte in einem Bericht aus Wien, der unter dem Titel "Janáčeks Jenufa an der Wiener Hofoper" am 17. Februar 1918 im Prager Tagblatt erschien, u.a. folgendes geschrieben: "Das Prinzip der "gesprochenen Wortmelodie", das der Komponist leider ernst genommen hat, erwies sich als wenig förderlich, die Übersetzung des Textes als ungleichwertig und durch falsche Betonung erschwert . . ." Brod hat seine ausführliche Replik hierauf- "Noch ein Wort zur Jenufa" - in der Wiener Wochenschrift Der Friede, hrsg. Benno Karpeles, Bd.I, Heft 7 (7. März 1918), S.166 f. drucken lassen. Vgl. 1917 Anm. 20.


ein kleines Büchlein: Siehe Anm. 51 unten.


deinen Roman: "Der Proceß".


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at