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Brief an Max Brod


[Prag, ca. 4.1.1918]


Lieber Max, hier die Manuskripte (meine einzigen) für Deine Frau, zeig sie niemandem. Von dem Kübelreiter und dem "Alten Blatt" laß bitte eine Abschrift auf meine Kosten machen und schicke sie mir, ich brauche sie für Kornfeld.

    Die Romane lege ich nicht bei. Warum die alten Anstrengungen aufrühren? Nur deshalb weil ich sie bisher nicht verbrannt habe? Bis (nein, wenn: gerade kommt ein Brief von F., dankt für Esther sehr, fragt ob sie Dir danken soll) wenn ich nächstens komme, geschieht es hoffentlich. Worin liegt der Sinn des Aufhebens solcher "sogar" künstlerisch mißlungener Arbeiten? Darin, dass man hofft, dass sich aus diesen Stückchen mein Ganzes zusammensetzen wird, irgendeine Berufungsinstanz, an deren Brust ich werde schlagen können, wenn ich in Not bin. Ich weiß, dass das nicht möglich ist, dass von dort keine Hilfe kommt. Was soll ich also mit den Sachen? Sollen die, die mir nicht helfen können, mir auch noch schaden, wie es, dieses Wissen vorausgesetzt, sein muß? Die Stadt zehrt an mir, sonst hätte ich nicht gesagt, dass ich die Papiere bringe.

    Zum gestrigen Abend nur noch kurz: Die Angelegenheit stellt sich mir, dem im eigentlichen Schmerz Unbeteiligten, etwa so dar: Deine Frau hat in ihrem Hauptvorwurf vielleicht etwas Wesentlicheres berührt als Du in Deinem.

    Es ist zu spät, ich muß noch ins Bureau, ich schreibe Dir von Zürau sehr bald, vielleicht ist es gut, gerade heute nicht zwischen Euch zu sprechen.

Franz        
 


Noch eine Bitte: Schicke mir Blankette der Militäranmeldung, die man, wie ich glaube, im Jänner leisten muß.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Zur Datierung dieses Briefes: Kafka schreibt am 30. Dezember 1917 aus Prag (wo er sich seit dem 23. Dezember aufgehalten hatte) an seine Schwester in Zürau: "Ich werde wegen der Anstalt noch paar Tage länger hier bleiben müssen, da ich mit dem Direktor zum erstenmal Dienstag [d.i. den 1. Januar] werde sprechen können" (O 50).


die Manuscripte . . . Deine Frau: Kafka hatte sich offenbar bereiterklärt, Elsa Brod - nachdem sie "Ein Bericht für eine Akademie" am 19. Dezember 1917 vorgetragen hatte - weitere Prosastücke zum möglichen späteren Vortragen zu überlassen. Vgl. 1919 Anm. 11.


Kübelreiter . . . Kornfeld: "Der Kübelreiter" und "Ein altes Blatt" gehörten zu den Prosastücken, die unter dem Titel "Ein Landarzt" bei Kurt Wolff veröffentlicht werden sollten (siehe Br 158f.) und - mit Ausnahme des "Kübelreiters", den Kafka bei der Umbruchkorrektur entfernte - später auch erschienen sind. Paul Kornfeld (1889-1942), den Kafka aus dessen früherer Prager Zeit kannte, redigierte den literarischen Teil der ab Anfang 1918 erscheinenden Monatsschrift für Theater und Literatur Das junge Deutschland.


Die Romane: "Der Verschollene" und "Der Proceß". Vgl. Brods Brief vom 16. Januar 1918.


Zum gestrigen Abend: Weiteres hierzu in Kafkas Brief vom 13. Januar 1918.


noch ins Bureau: Siehe Anm.1 oben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at