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[Tagebuch, 21. September 1917; Freitag]

21. (September 1917) Felice war hier, fährt um mich zu sehn 30 Stunden, ich hätte es verhindern müssen. So wie ich es mir vorstelle, trägt sie, wesentlich durch meine Schuld, ein Äußerstes an Unglück. Ich selbst weiß mich nicht zu fassen, bin gänzlich gefühllos, ebenso hilflos, denke an die Störung einiger meiner Bequemlichkeiten und spiele als einziges Zugeständnis etwas Komödie. In Kleinigkeiten hat sie Unrecht, Unrecht in der Verteidigung ihres angeblichen oder auch wirklichen Rechtes, im Ganzen aber ist sie eine unschuldig zu schwerer Folter Verurteilte; ich habe das Unrecht getan, wegen dessen sie gefoltert wird und bediene außerdem das Folterinstrument. - Mit ihrer Abfahrt (der Wagen mit ihr und Ottla umfährt den Teich, ich schneide geradeaus den Weg ab und komme ihr noch einmal nahe) und einem Kopfschmerz (Erdenrest des Komödianten) endet der Tag.

Traum vom Vater. - Es ist eine kleine Zuhörerschaft (Frau Fanta zur Charakterisierung darunter) vor welcher der Vater eine sociale Reformidee zum erstenmal der Öffentlichkeit mitteilt. Es handelt sich ihm darum, dass diese ausgewählte, insbesondere seiner Meinung nach ausgewählte Zuhörerschaft die Propaganda für die Idee übernimmt. Äußerlich drückt er dies viel bescheidener aus, indem er von der Gesellschaft nur verlangt, sie möge ihm nachher, bis sie alles kennen gelernt hat, Adressen von Personen mitteilen, die sich für sie interessieren und daher zu einer großen öffentlichen Versammlung, die nächstens stattfinden soll eingeladen werden könnten. Mein Vater hat mit allen diesen Leuten noch niemals etwas zu tun gehabt, infolgedessen nimmt er sie übertrieben ernst, hat sich auch ein schwarzes Jakettkleid angezogen und trägt die Idee äußerst genau, mit allen Zeichen des Diletantismus vor. Die Gesellschaft erkennt, trotzdem sie auf einen Vortrag gar nicht vorbereitet war, sofort, dass hier nur eine alte verbrauchte, längst durchgesprochene Idee mit allem Stolz der Originalität vorgebracht wird. Man läßt es den Vater fühlen. Dieser aber hat den Einwand erwartet, aber mit großartiger Überzeugung von der Nichtigkeit dieses Einwands, der ihn selbst aber schon öfters versucht zu haben scheint, trägt er seine Sache mit einem feinen bittern Lächeln noch nachdrücklicher vor. Als er geendet hat, hört man aus dem allgemeinen verdrießlichen Gemurmel, dass er weder von der Originalität noch der Brauchbarkeit seiner Idee überzeugt hat. Es werden sich nicht viele dafür interessieren. Immerhin findet sich hie und da jemand der ihm aus Gutmütigkeit und vielleicht weil er mit mir bekannt ist, einige Adressen angibt. Mein Vater, gänzlich unbeirrt von der allgemeinen Stimmung hat die Vortragspapiere abgeräumt und vorbereitete Häufchen weißer Zettel vorgenommen, um die wenigen Adressen zu notieren. Ich höre nur den Namen eines Hofrates Strizanowski oder ähnlich - Später sehe ich den Vater in der Art wie er mit Felix spielt, auf dem Boden sitzen und sich ans Kanapee lehnen. Erschrocken frage ich ihn was er macht. Er denkt über seine Idee nach.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at