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[Tagebuch, 30. Juli 1917; Montag]

30. (Juli 1917) Frl. Kanitz. Verlockungen mit denen das Wesen nicht mitgeht. Das Auf und Zu, das Dehnen, Spitzen, Aufblühn der Lippen, als modellierten dort unsichtbar die Finger. Die plötzlich, wohl nervöse, aber discipliniert angewandte, immer überraschende Bewegung z. B. Ordnen des Rockes auf den Knien, Änderung des Sitzes. Die Konversation mit wenig Worten, wenig Gedanken, ohne jede Unterstützung durch die andern, in der Hauptsache durch Kopfwendungen, Händespiel, verschiedenartige Pausen, Lebendigkeit des Blicks, im Notfall durch Ballen der kleinen Fäuste erzeugt.

Reitet sagte der Kommandant.

Er entwand sich ihren Kreisen. Nebel umblies ihn. Eine runde Waldlichtung. Der Vogel Phönix im Gebüsch. Eine das Kreuz auf unsichtbarem Gesicht immer wieder schlagende Hand. Kühler ewiger Regen, ein wandelbarer Gesang wie aus atmender Brust.

Ein unbrauchbarer Mensch. Ein Freund Suche ich mir gegenwärtig zu machen, was er besitzt, so bleibt, bei günstigstem Urteil allerdings nur, seine meiner Stimme gegenüber etwas tiefere Stimme. Rufe ich "Gerettet", ich meine, wäre ich Robinson und riefe "Gerettet", wiederholte er es mit seiner tiefernStimme. Wäre ich Korah und riefe "Verloren", wäre er gleich mit seiner tiefern Stimme dabei, es zu wiederholen. Es ermüdet allmählich immer diesen Baßgeiger mit sich zu führen. Dabei ist er selbst gar nicht munter bei der Sache, er wiederholt nur, weil er es muß und nichts anderes kann. Manchmal während meines Urlaubs, wenn ich einmal Zeit habe, diesen persönlichen Dingen mich zuzuwenden, berate ich mit ihm, in der Gartenlaube etwa, wie ich mich von ihm befreien könnte.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at