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[An Ottla Kafka]
Liebe Ottla, heute also bringt die Post nur diesen Brief:
Eigentlich habe ich (unter dem Lärm des Felix und
dem stillen Zuschauen der Gerti) weder Lust noch Ruhe zum Schreiben, vor
allem deshalb aber nicht, weil sich über eine beschränkte Zeit
- und so soll es doch für mich hier werden - mitten drin nichts Bestimmtes
sagen läßt. Es gab z. B. in diesen letzten 5 Tagen verschiedene
Zeiten, wo ich einen groben Fehler gemacht zu haben glaubte und ziemlich
tief unten war, später aber zeigte es sich, dass es doch im besten
Sinn richtig war und ich nichts zu bedauern hatte. über Einzelnheiten
werden wir sprechen.
Die Tage mit F. waren schlimm, (abgesehen vom ersten Tag,
an dem wir von der Hauptsache noch nicht gesprochen hatten) und am letzten
Vormittag habe ich mehr geweint als in allen Nach-Kinderjahren. Natürlich
wäre es aber viel schlimmer oder unmöglich gewesen, wenn ich
irgendeinen Rest irgendeines Zweifels an der Richtigkeit desen gehabt hätte
was ich tat. Derartiges gab es nicht, nur widerspricht es leider der Richtigkeit
eines Handelns nicht, dass dieses Handeln ein Unrecht ist und es umsomehr
wurde durch die Ruhe und besonders durch die Güte mit der sie es aufnahm.
Den Nachmittag nach ihrer Abreise war ich beim Professor, er ist verreist
und kommt erst Montag oder Mittwoch; solange werde ich wohl hier bleiben
müssen, schon aus diesem Grunde. Jedenfalls ging ich gleich zu Dr.
Mühlstein, er erhorchte augenblicklich gar nichts, trotzdem ich hier
mehr huste und schnaufe als sonst. Trotz dieses günstig-ungünstigen
Befundes (das Röntgenbild würde natürlich doch die Krankheit
zeigen) sprach er mir, zum Teil vielleicht aus besonderer Freundlichkeit
gegen mich, die moralische Berechtigung zu, eine Pensionierung zu verlangen
und als ich ihm auf seine Frage sagte, dass ich ans Heiraten nicht
mehr denke, lobte er das besonders, ich weiß nicht ob als zeitweiligen
oder endgültigen Entschluß, ich fragte nicht danach. (Als Auflösungsgrund
der Verlobung gilt nach außen hin nur die Krankheit,
so habe ich es auch dem Vater gesagt.)
Heute war ich im Bureau, die Verhandlungen beginnen; wie
es ausgehen wird, weiß ich noch nicht. Zweifel gibt es auch hier
für mich keine.Dagegen habe ich Zweifel wegen Oskar.
Er wird mir jetzt schwer ihn mitzunehmen schwer mit jemanden außer
Dir und Max zu sprechen. Das ist natürlich nur übergang und ich
weiß das mit vollständiger Bestimmtheit, aber auf dem Land will
ich sein und allein. Außerdem hast Du ja einen Gast
und Oskar kann nicht tschechisch, auch das gibt eine Schwierigkeit. Übrigens
fühle ich mich auch ein wenig ausgemietet oder richtiger: ich fühle
es als einen zarten Übergang. Ganz falsch wäre es für Dich
- mir muß ich es nicht erst sagen - in der weiteren Folge dessen
etwas zu sehn, was für mich eindeutig trüb oder traurig wäre.
Das Gegenteil wäre es viel eher; so wie es ist und zu werden scheint,
ist es das beste und steht auf meinem Weg am richtigen Platz. Darüber
mußt Du gar nicht nachdenken. (Übrigens bin ich gar nicht allein,
denn ich habe hier einen Liebesbrief bekommen, bin aber doch allein, denn
ich habe ihn nicht mit Liebe beantwortet.)
Bleibt also der Zweifel wegen Oskar. Er selbst sieht schlecht aus, braucht
es dringend, demütigt sich auf alle Weise und hat es so eingerichtet,
dass er, wann ich ihm meine Abreise anzeige, eine Stunde später,
undzwar in der Zeit bis nächsten Freitag, reisebereit ist. Bitte,
schreib mir darüber. Und sonst: Was soll ich Hr. Hermann,
Frau Feigl, das Mädchen von Frau Hermann mitbringen?
Und wem noch etwas?
Heute ist übrigens der erste Tag, an dem ich die Stadt fühle.
Unter diesen Menschen kann nichts Gutes geschehn, aber viel Gutes für
sie.
Franz
Grüße von mir das Gast-Fräulein, unser Fräulein,
Toni und Hr. Hermann.
Felix: der von Hermann Kafka heißgeliebte
Sohn Ellis und Karl Hermanns; Gerti war seine jüngere Schwester.
Die Tage mit F. waren schlimm: Ende Dezember war
Kafka für einige Tage in Prag. Felice besuchte ihn vom 25.-27. Dezember;
es war die zweite und endgültige Lösung des Verlöbnisses.
Max Brod berichtet darüber: " . . . Franz (kam) zu mir ins Büro.
Er hatte eben F. zur Bahn gebracht. Sein Gesicht war blaß, hart und
streng. Aber plötzlich begann er zu weinen . . . Kafka . . . war direkt
zu mir ins Arbeitszimmer gekommen, mitten in den Betrieb, saß neben
meinem Schreibtisch auf dem Sesselchen, das für Bittsteller, Pensionisten,
Beschuldigte bereitstand. Und hier weinte er, hier sagte er schluchzend:
"Ist es nicht schrecklich, dass so etwas geschehen muß?" Die
Tränen liefen ihm über die Wangen, ich habe ihn nie außer
diesem einen Male fassungslos, ohne Haltung gesehen." (FK 147)
nach außen hin nur die Krankheit: Zu Max Brod
sagte Kafka damals: "Was ich zu tun habe, kann ich nur allein tun.
Über die letzten Dinge klar werden. Der Westjude ist darüber
nicht klar und hat daher kein Recht zu heiraten. Es gibt hier keine Ehen.
Es sei denn, dass ihn diese Dinge nicht interessieren, zum Beispiel
Geschäftsleute." (FK 147)
die Verhandlungen beginnen: Nachdem es Kafka im
September 1917 nicht gelungen war, sich pensionieren zu lassen (vgl. Nr.
49 und 50), versuchte er es jetzt wieder, aber auch diesmal nur mit dem
Erfolg, dass sein Urlaub bis Ende April 1918 verlängert wurde.
Schon am 23. November 1917 hatte Ottla in seinem Sinne bei Kafkas Dienstvorgesetzten
Eugen Pfohl vorgesprochen: "Früh sprach ich mit dem Direktor
des Bruders, er will absolut nicht zulassen, dass Franz kündigt,
am Land soll er aber lang bleiben, eventuell solange, bis sich etwas entscheidet.
Er kommt mit seiner Frau zu uns nach Zürau." (An David, vgl.
Br 193, 208 und Nr. 55)
wegen Oskar: Etwa vom 6. bis zum 13. Januar 1918
war der blinde Oskar Baum, einer der engsten literarischen Freunde Kafkas,
bei ihm in Zürau zu Gast. Seine 1929 erschienenen Erinnerungen an
die mit Kafka verbrachten Tage sind jetzt in Max Brods Der Prager Kreis
leicht zugänglich. (Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz [1966], S.
130 ff., vgl. auch Br 222 ff. und die Anmerkungen zu Nr. 73)
einen Gast: Bei dem nur tschechisch sprechenden
"Gast-Fräulein" handelt es sich um Josef Davids Schwester
Ella, die Kafka Ende April 1918 in Zürau kennenlernte. Vgl. Nr. 57.
Hr. Hermann: Der Vorarbeiter des Gütchens,
mit dem Ottla Differenzen hatte, vgl. T 530 und Ottla an David am 8. XI.
1917: "Es ist unmöglich, die Gewohnheiten eines alten Menschen
abzuändern, ich finde mich mit ihm ab. Er ist besser als früher,
aber ich komme noch nicht aus mit ihm."
Frau Feigl: Am 8. Oktober notiert Kafka ins Tagebuch:
"Bauer F. (sieben Mädchen, eine klein, süßer Blick,
weißes Kaninchen über der Achsel)" (T 535; Auflösung
des Namens nach dem Manuskript).
unser Fräulein: die Magd Mařenka, die
Ottla half (vgl. T 529 f. und Br 210).
Toni: ist wahrscheinlich eine weitere Helferin,
die damals auf dem Gütchen beschäftigt wurde.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at