Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebe Ottla heute war es schon ein wenig besser, das Badezimmer still.
Allerdings um 6 Uhr ist alles zuende; wenn sie nebenan die Augen aufschlägt,
weckt mich der Lärm. (Der Ausdruck "Augenaufschlagen"
muß auch ein empfindlicher alter Deutscher erfunden haben) Das
Haus oben auf dem Belvedere habe ich mir vorläufig von außen
angesehn, recht gut, nur eben erster Stock und gegenüber die Miederfabrik
Federer & Piesen, auch soll wie mir heute einer sagt, der Fuhrwerksverkehr
zum Marktplatz zum Teil dort durchgehn. Da wäre ich dann von einem
Marktplatz zum andern übersiedelt. Wie schwer das ist.
Dein Zimmer ist aber wirklich hübsch. Ich habe es schon so ausgefüllt,
nicht mit Sachen, sondern mit mir, dass Du, wenn Du zurückkommst,
Dich kaum wirst durchdrängen können. Tut Dir das nicht leid?
Heute spreche ich noch mit dem Dr., dann schreibe ich Dir wann ich komme.
Ende der Woche wohl, ich werde Dir dann telegraphieren.
Franz
Ottla soll es in der Adresse heißen, nicht F.
Das Haus oben: Aus einem nach Zürau gerichteten
Brief der Mutter vom Oktober 1917 geht hervor, dass Kafka noch zu
dieser Zeit nach einem Ersatz für seine beiden jetzt nicht mehr zur
Verfügung stehenden Wohnungen im Schönborn-Palais und in der
Alchimistengasse suchte (vgl. Nr. 45). Die Miederfabrik Federer und Piesen
lag in Prag VII, Ovenecká 9, also in Bubeneč, einem vornehmen
Villenviertel mit relativ hohem deutschjüdischem Bevölkerungsanteil.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at