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[An Ottla Kafka: Postkarte]

[Stempel: Prag - 3. IX. 17]
 


Liebe Ottla heute war es schon ein wenig besser, das Badezimmer still. Allerdings um 6 Uhr ist alles zuende; wenn sie nebenan die Augen aufschlägt, weckt mich der Lärm. (Der Ausdruck "Augenaufschlagen" muß auch ein empfindlicher alter Deutscher erfunden haben) Das Haus oben auf dem Belvedere habe ich mir vorläufig von außen angesehn, recht gut, nur eben erster Stock und gegenüber die Miederfabrik Federer & Piesen, auch soll wie mir heute einer sagt, der Fuhrwerksverkehr zum Marktplatz zum Teil dort durchgehn. Da wäre ich dann von einem Marktplatz zum andern übersiedelt. Wie schwer das ist.

Dein Zimmer ist aber wirklich hübsch. Ich habe es schon so ausgefüllt, nicht mit Sachen, sondern mit mir, dass Du, wenn Du zurückkommst, Dich kaum wirst durchdrängen können. Tut Dir das nicht leid? Heute spreche ich noch mit dem Dr., dann schreibe ich Dir wann ich komme. Ende der Woche wohl, ich werde Dir dann telegraphieren.

Franz


Ottla soll es in der Adresse heißen, nicht F.




Das Haus oben: Aus einem nach Zürau gerichteten Brief der Mutter vom Oktober 1917 geht hervor, dass Kafka noch zu dieser Zeit nach einem Ersatz für seine beiden jetzt nicht mehr zur Verfügung stehenden Wohnungen im Schönborn-Palais und in der Alchimistengasse suchte (vgl. Nr. 45). Die Miederfabrik Federer und Piesen lag in Prag VII, Ovenecká 9, also in Bubeneč, einem vornehmen Villenviertel mit relativ hohem deutschjüdischem Bevölkerungsanteil.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at