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[An Ottla Kafka: Postkarte]

[Stempel: Prag - 2. IX. 17]
 


Liebe Ottla also übersiedelt. Die Fenster im Palais zum letzten Mal geschlossen, die Tür abgesperrt, wie ähnlich das dem Sterben sein muß. Und heute in dem neuen Leben habe ich seit jenem blutigen Morgen die ersten Ansätze zu Kopfschmerzen. Ein Schlafzimmer ist Dein Schlafzimmer nicht. Ich sage nichts gegen die Küche nichts gegen den Hof, um ½ 7 ist ort Lärm, das ist selbstverständlich, wenn auch heute Sonntag ist. Übrigens war die Katze nicht einmal zu hören, nur die Uhr in der Küche. Aber vor allem das Badezimmer. Dreimal meiner Rechnung nach wurde dort Licht gemacht und Wasser zu unverständlichen Zwecken losgelassen, dann auch noch die Tür zum Schlafzimmer offengelassen so dass ich den Vater husten hörte. Armer Vater, arme Mutter, armer Franz. Eine Stunde vor jedem Lichtmachen wachte ich aus Angst auf und zwei Stunden nachher konnte ich vor Schrecken nicht einschlafen, das waren die 9 Nachtstunden. Aber für die Lunge war es besser. Eine leichte Decke bei offenem Fenster genügt, dort bei halb offenem entfernten Fenster waren 2 Decken und ein Federbett nötig. Ich huste vielleicht auch weniger. Du müßtest kommen.

Franz




übersiedelt : Kafka kündigte die Wohnung im Schönborn-Palais und zog wieder in die elterliche Wohnung am Altstädter Ring Nr. 6. Da dort naturgemäß kein Zimmer für ihn zur Verfügung stand, benutzte er, auch in späteren Jahren, wo er oft bettlägerig war, das neben dem Badezimmer gelegene seiner jüngsten Schwester, die ja im Winter 1918/1919 gar nicht in Prag war und seit ihrer Heirat Mitte Juli 1920 eine eigene Wohnung hatte.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at