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[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebe Ottla also übersiedelt. Die Fenster im Palais
zum letzten Mal geschlossen, die Tür abgesperrt, wie ähnlich
das dem Sterben sein muß. Und heute in dem neuen Leben habe ich seit
jenem blutigen Morgen die ersten Ansätze zu Kopfschmerzen. Ein Schlafzimmer
ist Dein Schlafzimmer nicht. Ich sage nichts gegen die Küche nichts
gegen den Hof, um ½ 7 ist ort Lärm, das ist selbstverständlich,
wenn auch heute Sonntag ist. Übrigens war die Katze nicht einmal zu
hören, nur die Uhr in der Küche. Aber vor allem das Badezimmer.
Dreimal meiner Rechnung nach wurde dort Licht gemacht und Wasser zu unverständlichen
Zwecken losgelassen, dann auch noch die Tür zum Schlafzimmer offengelassen
so dass ich den Vater husten hörte. Armer Vater, arme Mutter,
armer Franz. Eine Stunde vor jedem Lichtmachen wachte ich aus Angst auf
und zwei Stunden nachher konnte ich vor Schrecken nicht einschlafen, das
waren die 9 Nachtstunden. Aber für die Lunge war es besser. Eine leichte
Decke bei offenem Fenster genügt, dort bei halb offenem entfernten
Fenster waren 2 Decken und ein Federbett nötig. Ich huste vielleicht
auch weniger. Du müßtest kommen.
Franz
übersiedelt : Kafka kündigte die Wohnung
im Schönborn-Palais und zog wieder in die elterliche Wohnung am Altstädter
Ring Nr. 6. Da dort naturgemäß kein Zimmer für ihn zur
Verfügung stand, benutzte er, auch in späteren Jahren, wo er
oft bettlägerig war, das neben dem Badezimmer gelegene seiner jüngsten
Schwester, die ja im Winter 1918/1919 gar nicht in Prag war und seit ihrer
Heirat Mitte Juli 1920 eine eigene Wohnung hatte.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at