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An Felice Bauer

[Stempel: Zürau, Post Flöhau - 16. X. 17]


Liebste Felice, ich schreibe Dir den Anfang des letzten Briefes von Max ab, weil er für meine oder unsere Lage bezeichnend ist:

"Würde ich nicht fürchten, dass ich Dich dadurch beunruhige, so würde ich Dir sagen, dass Deine Briefe von großer Ruhe zeugen. Nun habe ich es schon gesagt, - ein Beweis, dass ich nicht einmal recht fürchte, Dich könnte dies oder sonst etwas beunruhigen. Du bist in Deinem Unglück glücklich."

Ehe ich sage, was ich ihm etwa geantwortet habe: Ist das nicht etwa Deine Meinung auch? Nicht so grob, aber andeutungsweise? Ist sie es, so gebe ich Dir aus unaufhörlich einander folgenden ein Beispiel: Du tratest abend in Zürau vor das Haus, es war kurz vor der Abreise. Ich saß noch lange im Zimmer, dann ging ich in den Garten Dich zu suchen, kam zurück, erfuhr von Ottla, dass Du vor dem Haus bist und ging zu Dir. Ich sagte zu Dir: "Hier bist Du? Ich habe Dich überall gesucht." Du sagtest: "Ich habe Dich doch noch vor einem Augenblick im Zimmer reden hören." Bis auf paar ganz belanglose Worte sprachen wir wohl kaum mehr etwas miteinander, trotzdem wir noch genug lange auf der Treppenstufe standen und auf den Ringplatz sahen. Du warst unglücklich über die sinnlose Reise, mein unbegreifliches Verhalten, über alles. Ich war nicht unglücklich. "Glück" wäre allerdings für meinen Zustand eine sehr unrichtige Bezeichnung gewesen. Ich war gequält, aber nicht unglücklich, ich fühlte den ganzen Jammer weniger, als ich ihn sah, erkannte, ihn in seiner alle meine Kräfte (zumindest meine Kräfte als die eines Lebendigen) übersteigenden Ungeheuerlichkeit feststellte, und in dieser Erkenntnis verhältnismäßig ruhig dabei verblieb, die Lippen fest, sehr fest geschlossen zu halten. dass ich auch dabei wahrscheinlich noch ein wenig Komödie spielte, verzeihe ich mir am leichtesten, denn der Anblick, den ich hatte (freilich nicht zum erstenmal), war zu höllisch, als dass man den Anwesenden nicht mit ein wenig ablenkender Musik hätte zuhilfe kommen wollen; es gelang nicht, wie es kaum jemals gelingt, immerhin fand es statt.

Ähnlich habe ich Max geantwortet, ich meine natürlich nur: in ähnlichem Sinn. Seine Feststellung des "im Unglück Glücklichseins" geht allerdings über mich hinaus und ist eine Art zeitgenössischer Kritik. Ich weiß nicht, ob er sie schon in einem Aufsatz geschrieben hat, aber er trägt sie schon lange in sich. Was immer er daraus macht: eine Feststellung, ein Bedauern, selbst eine Mahnung äußersten Falles - er bleibt wohl im Recht, nur für eine Anklage, einen Vorwurf darf er es nicht ansehn, wie er es gerne tut. "Im Unglück Glücklich-sein", was ja gleichzeitig bedeutet "Im Glück Unglücklichsein" (aber das erste ist vielleicht das Entscheidendere), war vielleicht der Spruch, mit dem Kain das Zeichen aufgedrückt worden ist. Es bedeutet den Verlust des Gleichschrittes mit der Welt es bedeutet, dass der, welcher das Zeichen trägt, die Welt zerschlagen hat und, unfähig sie wieder lebend aufzurichten, durch ihre Trümmer gejagt wird. Unglücklich ist er allerdings nicht, denn Unglück ist eine Angelegenheit des Lebens und dieses hat er beseitigt, aber er sieht es mit überhellen Augen, was in dieser Sphäre etwas ähnliches wie Unglück bedeutet.


Was meinen Körperzustand betrifft - er ist ausgezeichnet, nach Deinem wage ich kaum zu fragen.

Nächsten Samstag hält Max in Komotau, ganz nah von hier, einen zionistischen Vortrag, ich steige in ihren Zug, Sonntag mittag fahren wir nach Zürau und abend alle nach Prag, ich, um zum Professor, zum Zahnarzt und ins Bureau zu gehn. Alle 3 Besuche fallen mir schwer, am schwersten die Reise selbst. Hoffentlich komme ich in 2-3 Tagen wieder zurück.

Nur durch diesen Zufall des Komotauer Vortrags bekomme ich Maxens Besuch hier, denn ich habe schon früher Max, Felix und Baum mit ausführlicher Begründung gebeten, mich nicht zu besuchen.

Kant kenne ich nicht, der Satz aber soll wohl nur für die Völker gelten, auf Bürgerkriege, auf "innere Kriege" bezieht er sich kaum, hier ist der Friede wohl nur jener, den man der Asche wünscht.


Franz



Ähnlich habe ich Max geantwortet : Vgl. Brief an Max Brod vom 12. Oktober 1917, Briefe, S. 181 ff.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at