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An Felix Weltsch

[Zürau, Anfang Dezember 1917]
 

Lieber Felix, schon Max sagte der Ottla, dass es Dir gut geht, und Dein Brief bestätigt es auch gegen Deinen Willen. Was für Arbeit! Drei bis vier Bücher täglich und seien es auch immer die gleichen. Nicht die Menge an sich ist natürlich das Erstaunliche, aber die Stärke des Suchens, die sich darin zeigt. Auch ich lese, vergleichsweise allerdings fast nichts, aber ich kann nur Bücher halten, die mir von Natur sehr nah sind, nah bis zur Berührung, alles andere marschiert an mir vorüber, suchen kann ich es schlecht.

Wenn Du mir eine gutgedruckte und käufliche Ausgabe der "Bekenntnisse" (so heißt das Buch doch wohl) des Augustinus angeben könntest, würde ich es mir gern bestellen. Wer war Pelagius? Vom Pelagianismus habe ich schon so viel gelesen und keinen Hauch behalten, etwas Katholisch-Ketzerisches vielleicht? Wenn Du Maimonides liest, würde Dir vielleicht "Salomon Maimons Lebensgeschichte" (von Fromer bei Georg Müller herausgegeben) etwas beitragen können, auch an sich ein gutes Buch, eine äußerst grelle Selbstdarstellung eines zwischen Ost- und Westjudentum gespenstisch hinlaufenden Menschen. Dann aber auch ein Abriß der Lehre des Maimonides, dessen geistiges Kind er sich fühlte. Aber wahrscheinlich kennst Du das Buch besser als ich.

dass Du ins Religiöse kommst, wundert Dich? Du hast deine Ethik ursprünglich - das einzige, was ich von ihr bestimmt zu wissen glaube - ohne Fundament gebaut und nun merkst Du vielleicht, dass sie doch Fundamente hat. Wäre das so merkwürdig?

Mäuse vertreibe ich mit der Katze, aber womit soll ich die Katze vertreiben? Du glaubst, Du habest nichts gegen Mäuse? Natürlich, Du hast auch gegen Menschenfresser nichts, aber wenn sie in der Nacht unter allen Kästen hervorkriechen und die Zähne fletschen werden, wirst Du sie bestimmt nicht mehr leiden können. Übrigens suche auch ich mich jetzt auf Spaziergängen durch Betrachtung der Feldmäuse abzuhärten, sie sind ja nicht übel, aber das Zimmer ist kein Feld und der Schlaf kein Spaziergang.

Trompeten allerdings - auch Deine wird schon austrompetet haben - gibt es hier wieder nicht und die Kinder, die immer großartig gelärmt und mich doch nie wesentlich gestört haben, sind, seitdem der Gänseteich zugefroren ist, auf hundert Schritte Entfernung sogar sanft und schön geworden.

Eine Bitte: Die Tochter eines reichen hiesigen Bauern oder vielleicht des reichsten, ein recht angenehmes, etwa 18jähriges Mädchen, will für ein Vierteljahr nach Prag fahren. Zweck: Tschechisch lernen, Klavierspielfortsetzen, Haushaltungsschule und - was vielleicht der Hauptzweck ist - irgend etwas nicht genau zu umschreibendes Höheres erreichen, denn ihre Stellung hier hat insofern etwas Verzweifeltes, als sie z. B. zwar infolge ihres Vermögens, ihrer Klostererziehung keine ebenbürtige Freundin hier hat und doch auch wieder nicht weiß, wo ihr eigener Platz ist. Auf solche Weise kann auch ein glänzend christliches Mädchen einer Jüdin nicht unähnlich werden. Das alles sage ich übrigens nur auf Grund eines oberflächlichen Eindrucks, ich selbst habe kaum fünfzig Worte mit ihr gesprochen.

Dich bitte ich in dieser Sache deshalb um Rat, weil ich keinen eigenen weiß und weil Du doch so viele Tschechen kennst, die ein solches Mädchen, dessen Besitz Hungersnot ausschließt, vielleicht sehr gern in ihre Familie aufnehmen und ihr auch darin, was sie will, wirklich nützen könnten. Der Rat müßte aber bald gegeben werden.

Meine Einrückung macht mir wenig Sorgen, übrigens ist auch gewiß überflüssigerweise noch etwas von der Anstalt veranlaßt worden. Mehr, vielleicht nicht Sorgen, aber Gedanken macht mir mein Verhältnis zur Anstalt, über das doch in allernächster Zeit irgend etwas entschieden werden muß. Ginge es nach dem Professor, müßte ich eigentlich schon im Bureau sitzen.

Herzliche Grüße

Franz




Fromer: Ludwig Fromer, Salomon Maimons Lebensgeschichte. München, 1911. Bei Georg Müller in der gleichen "Sammlung menschlicher Dokumente" erschienen wie die "Bekenntnisse".


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at