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An Felix Weltsch
Lieber Felix, schon Max sagte der Ottla, dass es Dir gut geht, und
Dein Brief bestätigt es auch gegen Deinen Willen. Was für Arbeit!
Drei bis vier Bücher täglich und seien es auch immer die gleichen.
Nicht die Menge an sich ist natürlich das Erstaunliche, aber die Stärke
des Suchens, die sich darin zeigt. Auch ich lese, vergleichsweise allerdings
fast nichts, aber ich kann nur Bücher halten, die mir von Natur sehr
nah sind, nah bis zur Berührung, alles andere marschiert an mir vorüber,
suchen kann ich es schlecht.
Wenn Du mir eine gutgedruckte und käufliche Ausgabe der "Bekenntnisse"
(so heißt das Buch doch wohl) des Augustinus angeben könntest,
würde ich es mir gern bestellen. Wer war Pelagius? Vom Pelagianismus
habe ich schon so viel gelesen und keinen Hauch behalten, etwas Katholisch-Ketzerisches
vielleicht? Wenn Du Maimonides liest, würde Dir vielleicht "Salomon
Maimons Lebensgeschichte" (von Fromer bei Georg
Müller herausgegeben) etwas beitragen können, auch an sich ein
gutes Buch, eine äußerst grelle Selbstdarstellung eines zwischen
Ost- und Westjudentum gespenstisch hinlaufenden Menschen. Dann aber auch
ein Abriß der Lehre des Maimonides, dessen geistiges Kind er sich
fühlte. Aber wahrscheinlich kennst Du das Buch besser als ich.
dass Du ins Religiöse kommst, wundert Dich? Du hast deine Ethik
ursprünglich - das einzige, was ich von ihr bestimmt zu wissen glaube
- ohne Fundament gebaut und nun merkst Du vielleicht, dass sie doch
Fundamente hat. Wäre das so merkwürdig?
Mäuse vertreibe ich mit der Katze, aber womit soll ich die Katze vertreiben?
Du glaubst, Du habest nichts gegen Mäuse? Natürlich, Du hast
auch gegen Menschenfresser nichts, aber wenn sie in der Nacht unter allen
Kästen hervorkriechen und die Zähne fletschen werden, wirst Du
sie bestimmt nicht mehr leiden können. Übrigens suche auch ich
mich jetzt auf Spaziergängen durch Betrachtung der Feldmäuse
abzuhärten, sie sind ja nicht übel, aber das Zimmer ist kein
Feld und der Schlaf kein Spaziergang.
Trompeten allerdings - auch Deine wird schon austrompetet haben - gibt
es hier wieder nicht und die Kinder, die immer großartig gelärmt
und mich doch nie wesentlich gestört haben, sind, seitdem der Gänseteich
zugefroren ist, auf hundert Schritte Entfernung sogar sanft und schön
geworden.
Eine Bitte: Die Tochter eines reichen hiesigen Bauern oder vielleicht des
reichsten, ein recht angenehmes, etwa 18jähriges Mädchen, will
für ein Vierteljahr nach Prag fahren. Zweck: Tschechisch lernen, Klavierspielfortsetzen,
Haushaltungsschule und - was vielleicht der Hauptzweck ist - irgend etwas
nicht genau zu umschreibendes Höheres erreichen, denn ihre Stellung
hier hat insofern etwas Verzweifeltes, als sie z. B. zwar infolge ihres
Vermögens, ihrer Klostererziehung keine ebenbürtige Freundin
hier hat und doch auch wieder nicht weiß, wo ihr eigener Platz ist.
Auf solche Weise kann auch ein glänzend christliches Mädchen
einer Jüdin nicht unähnlich werden. Das alles sage ich übrigens
nur auf Grund eines oberflächlichen Eindrucks, ich selbst habe kaum
fünfzig Worte mit ihr gesprochen.
Dich bitte ich in dieser Sache deshalb um Rat, weil ich keinen eigenen
weiß und weil Du doch so viele Tschechen kennst, die ein solches
Mädchen, dessen Besitz Hungersnot ausschließt, vielleicht sehr
gern in ihre Familie aufnehmen und ihr auch darin, was sie will, wirklich
nützen könnten. Der Rat müßte aber bald gegeben werden.
Meine Einrückung macht mir wenig Sorgen, übrigens ist auch gewiß
überflüssigerweise noch etwas von der Anstalt veranlaßt
worden. Mehr, vielleicht nicht Sorgen, aber Gedanken macht mir mein Verhältnis
zur Anstalt, über das doch in allernächster Zeit irgend etwas
entschieden werden muß. Ginge es nach dem Professor, müßte
ich eigentlich schon im Bureau sitzen.
Herzliche Grüße
Franz
Fromer: Ludwig Fromer, Salomon Maimons Lebensgeschichte.
München, 1911. Bei Georg Müller in der gleichen "Sammlung
menschlicher Dokumente" erschienen wie die "Bekenntnisse".
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at