Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Oskar Baum
Lieber Oskar, ich habe gar nicht geschrieben und Du hast gar nicht den
versprochenen Roman geschickt. Das ist das Äußerliche, sonst
aber hat sich hier nichts verändert, und drüben hoffentlich auch
nicht.
Zürau ist schön wie immer, nur wird es winterlich, der Gänseteich
vor dem Fenster friert schon manchmal zu, schön schleifen die Kinder,
und mein Hut, der mir im Nachtsturm in den Teich fliegt, muß am Morgen
fast losgeeist werden. Mäuse haben sich fürchterlich gezeigt,
was Dir unmöglich verborgen geblieben sein kann, ich habe sie mit
der Katze, die ich immer abends über den Ringplatz "warm im
Arm" nach Hause trage, ein wenig vertrieben, aber schon gestern wieder
ist eine rohe Backofenratte, die wahrscheinlich noch niemals in einem Schlafzimmer
war, mit einem unerhörten Gepolter bei mir eingebrochen, ich mußte
die Katze aus dem Nebenzimmer, wo ich sie wegen meiner Unfähigkeit
zur Reinlichkeitserziehung und aus Angst vor Bettsprüngen untergebracht
habe, rufen; wie bereitwillig stieg das gute Tier aus einer Schachtel unbekannten
Inhalts, die aber jedenfalls nicht zum Schlafen bestimmt ist und meiner
Hausfrau gehört; dann wurde es still. Sonstige Neuigkeiten: eine Gans
ist totgestopft worden, der Fuchs hat die Räude, die Ziegen waren
schon beim Bock (der ein besonders schöner Junge sein soll; eine Ziege,
die schon bei ihm gewesen war, lief in plötzlicher Erinnerung den
langen Weg von unserem Haus zum Bock noch einmal zurück) und das Schwein
soll nächstens glattweg abgeschlachtet werden.
Das ist ein gedrängtes Bild des Lebens und Sterbens, dem Du also Neujahr
ganz nahekommen wirst. Wie es mit mir dann sich verhalten wird, weiß
ich allerdings noch nicht bestimmt. Nach dem vormonatlichen Ausspruch des
Professors müßte ich eigentlich schon im Bureau sein, obwohl
ich bürgerlich gewiß nicht gesund bin (sonst allerdings mich
gesundheitlich kaum jemals wohler gefühlt habe). Entgehe ich wenigstens
noch für die nächste Zeit dem Bureau, worauf (auf das Entgehn
nämlich) mein ganzes Wünschen gerichtet ist, dann will ich es
so machen: Ende Dezember muß ich jedenfalls nach Prag kommen, denn
meine Enthebung geht am 1. Jänner zu Ende und ich muß mich stellen.
Da man wohl kein Interesse daran hat, mich in Pleš zu verpflegen,
während ich es hier selbst tue, wird man mich (andere Hilfe als den
gesunden Verstand des Kommissionsrates werde ich vielleicht auch noch haben)
wahrscheinlich wegschicken. Dann nur eiligst wieder nach Zürau und
Du könntest ausgezeichnet mit mir fahren. So wäre es am besten,
für mich hauptsächlich. Was Dich betrifft, so kommst Du ja ohne
Rücksicht auf mein Schicksal jedenfalls hierher. Ottla freut sich
sehr. Bett und Katze werden vorbereitet, Schnee und Frost kommen aus eigenem.
Und der Roman?
Herzlichste Grüße Dir, Frau und Kind.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at