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An Oskar Baum

[Zürau, Ende November/Anfang Dezember 1917]
 

Lieber Oskar, ich habe gar nicht geschrieben und Du hast gar nicht den versprochenen Roman geschickt. Das ist das Äußerliche, sonst aber hat sich hier nichts verändert, und drüben hoffentlich auch nicht.

Zürau ist schön wie immer, nur wird es winterlich, der Gänseteich vor dem Fenster friert schon manchmal zu, schön schleifen die Kinder, und mein Hut, der mir im Nachtsturm in den Teich fliegt, muß am Morgen fast losgeeist werden. Mäuse haben sich fürchterlich gezeigt, was Dir unmöglich verborgen geblieben sein kann, ich habe sie mit der Katze, die ich immer abends über den Ringplatz "warm im Arm" nach Hause trage, ein wenig vertrieben, aber schon gestern wieder ist eine rohe Backofenratte, die wahrscheinlich noch niemals in einem Schlafzimmer war, mit einem unerhörten Gepolter bei mir eingebrochen, ich mußte die Katze aus dem Nebenzimmer, wo ich sie wegen meiner Unfähigkeit zur Reinlichkeitserziehung und aus Angst vor Bettsprüngen untergebracht habe, rufen; wie bereitwillig stieg das gute Tier aus einer Schachtel unbekannten Inhalts, die aber jedenfalls nicht zum Schlafen bestimmt ist und meiner Hausfrau gehört; dann wurde es still. Sonstige Neuigkeiten: eine Gans ist totgestopft worden, der Fuchs hat die Räude, die Ziegen waren schon beim Bock (der ein besonders schöner Junge sein soll; eine Ziege, die schon bei ihm gewesen war, lief in plötzlicher Erinnerung den langen Weg von unserem Haus zum Bock noch einmal zurück) und das Schwein soll nächstens glattweg abgeschlachtet werden.

Das ist ein gedrängtes Bild des Lebens und Sterbens, dem Du also Neujahr ganz nahekommen wirst. Wie es mit mir dann sich verhalten wird, weiß ich allerdings noch nicht bestimmt. Nach dem vormonatlichen Ausspruch des Professors müßte ich eigentlich schon im Bureau sein, obwohl ich bürgerlich gewiß nicht gesund bin (sonst allerdings mich gesundheitlich kaum jemals wohler gefühlt habe). Entgehe ich wenigstens noch für die nächste Zeit dem Bureau, worauf (auf das Entgehn nämlich) mein ganzes Wünschen gerichtet ist, dann will ich es so machen: Ende Dezember muß ich jedenfalls nach Prag kommen, denn meine Enthebung geht am 1. Jänner zu Ende und ich muß mich stellen. Da man wohl kein Interesse daran hat, mich in Pleš zu verpflegen, während ich es hier selbst tue, wird man mich (andere Hilfe als den gesunden Verstand des Kommissionsrates werde ich vielleicht auch noch haben) wahrscheinlich wegschicken. Dann nur eiligst wieder nach Zürau und Du könntest ausgezeichnet mit mir fahren. So wäre es am besten, für mich hauptsächlich. Was Dich betrifft, so kommst Du ja ohne Rücksicht auf mein Schicksal jedenfalls hierher. Ottla freut sich sehr. Bett und Katze werden vorbereitet, Schnee und Frost kommen aus eigenem.

Und der Roman?

Herzlichste Grüße Dir, Frau und Kind.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at