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An Felix Weltsch

[Zürau, Anfang November 1917]
 

Lieber Felix, wäre ich damals im Theater gewesen, hättest Du gewiß mitkommen müssen und Du hättest, glaube ich, eine gute Vorstellung von Zürau zurückgebracht. Aber am nächsten Vormittag hatte ich noch einiges zu tun, war dann bei Max, Deine wirkliche Person war nicht da, Gelegenheit zu der notwendigen Besprechung fehlte, ein vorigen Tags abgeschicktes Telegramm hinderte mich länger zu bleiben, ein vom Zahnarzt abgebrochener Zahn konzentrierte meine Gedanken zu sehr, an Entschlußkraft bin ich in Prag auch nicht gewachsen, so blieb es dabei und ich fuhr allein. Zürau habe ich unenttäuschbar wiedergefunden. Es besonders zu loben, wie es die Wahrhaftigkeit verlangt, ist allerdings jetzt nicht der Augenblick, da ich den Magen ein wenig verdorben habe, zu bisher nicht nachgeprüfter Tageszeit unerwarteter Lärm rings im Hause sich zeigt und eine gelegentliche Revision meiner Bestände (gewiß in vernünftiger Absicht) stört. Ich habe eben von allem Anfang an von Prag her viel Sauerei in diese Gegend gebracht; damit muß ich immer rechnen. Landwirtschaftliches Denken, in gewissem Sinn, wird hier immer nützlich sein.

Einen starken Gegensatz zu dem Leben hier gibt das Leben in Deiner Wohnung ab, darum denke ich manchmal daran. Es hat mich überrascht. Deine vorige Wohnung war schon üppig, diese aber ist es bis zur Brutwärme. Aber was für eine Unabhängigkeit des Geistes mußt Du haben und wie sorgfältig muß er aufs Gleichgewicht hin organisiert sein, dass Du es nicht nur ohne Schaden erträgst, wie ich es nach allem sagen muß, sondern dass Du Dich darin auch ohne jede innere Absperrung bewegen kannst, es aufnimmst, zwar nicht als Dein eigenes, aber als ein Dir freundliches Element. Max hat vielleicht doch recht, wenn er Dich so hoch stellt, dass Du nur die Spitzen, aber nicht mehr den Grund der großen Ruinenhaftigkeit siehst. Aber man will doch eine Warnung sagen und kanns nicht mit Überzeugung und bleibt in häßlicher Schwebe.

Meine Reise nach Prag hat mich unter anderem auch um einen halben Brief von Dir gebracht. Ich bitte zum Ersatz nur um zweierlei in Kürze: was hat es damit auf sich, dass Du gegenüber der Entwicklung, die Deine Ethik in der Zeit nimmt, zögerst und zweitens wie steht es mit den Kursen (Junges Deutschland), die doch auch zu den halbbezwungenen Dämonen Deines Lebens gehören?

Franz


[Randbemerkung:] Jetzt gehst Du wohl viel zu Urania-Vorträgen? - Keine Antwort von Wolff?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at