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An Frau Irma Weltsch

[Prag,] 20. VII. 17
 

Liebe Frau Irma!

Ihren Brief, der erst nach unserer Abreise (wir fuhren Mittwoch Mittag weg) ankam, habe ich erst jetzt bekommen; ich bin zwar schon gestern früh angekommen, war aber erst heute mittag im Geschäft, wo ihn die Kusine aufgehoben hatte. Daher also die verspätete Antwort.

Die Tasche habe ich damals, kurz nachdem ich bei Ihnen gewesen war, in der Wohnung meiner Schwester gefunden. Unglücklich über den Verlust, ich bin so schmerzhaft geizig, ging ich geradewegs von Ihnen in die doch schon einmal durchsuchte Wohnung, rutschte auf den Knien systematisch jedes Stück Bodens ab und fand schließlich die Tasche ganz unschuldig unter einem Koffer liegen, wo sie sich klein gemacht hatte. Natürlich war ich auf diese Leistung außerordentlich stolz und wäre schon deshalb am liebsten gleich zu Ihnen gefahren. Aber dann mußte ich es doch zuerst zuhause sagen, zuhause war aber wieder alle mögliche Abhaltung, nächsten Mittag sollten wir doch wegfahren, die Meldung bei Ihnen wurde also immer wieder verschoben, schreiben wollte ich nicht, weil ich doch selbst zu Ihnen gehn wollte und schließlich schrieb ich nicht einmal, weil es schon auch dafür zu spät wurde, ich überdies Max die Meldung für Sie übergab und mir außerdem sagte, dass Sie ebenso wie meine Braut und ich gar nicht ernstlich daran geglaubt hatten, die Tasche könne bei Ihnen geblieben sein. Ich hatte ja auch Ihnen gegenüber öfters gesagt, so wie es sich auch tatsächlich verhielt, dass meine Braut überzeugt sei, die Tasche beim Weggang aus Ihrer Wohnung noch gehabt zu haben, und dass ich eigentlich nur aus dem formalen Grunde, nichts versäumen zu wollen, nachfragen kam.

Das wären meine Entschuldigungen. An Zahl genug, vielleicht sogar zu viel. Wäre nicht Ihr Brief da, würde ich mich fast schuldlos fühlen. Da Sie nun aber offenbar auch noch weiterhin an das Täschchen gedacht und möglicherweise es gar noch gesucht haben, sind natürlich alle Entschuldigungen unzulänglich und ich muß mich darauf verlegen, Sie zu bitten, mir die Freude an dem Wiederfrnden der Tasche nicht ganz und gar dadurch zu verderben, dass Sie mir wegen meiner Nachlässigkeit böse werden. Das wäre, trotzdem in der Tasche an 900 Kronen waren (das erklärt die Schnelligkeit meiner ersten Mitteilung) ein ungeheuerlich hoher Finderlohn, den ich dem glücklichen Zufall auszuzahlen hätte. Sie tun es nicht.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at