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An Gottfried Kölwel

Prag, 31. I. 16 [1917]
 

Sehr geehrter Herr Kölwel!

Ich war krank und bin es noch heute, mein Magen will nicht mit. Ich hätte Ihnen sonst schon längst geschrieben und für Ihre Sendung gedankt, die mir Freude gemacht hat, wie mir jede weitere Freude machen wird, das weiß ich schon. Es sind trostreiche Gedichte, Trostgesänge alle; Sie halten sich förmlich nur mit einer Hand im Dunkel, vielleicht um nicht ganz losgebrochen zu werden aus der Erde, alles andere ist Helligkeit, gute und wahrhaftige. Gerade weil Sie die Bestimmung dazu haben, stört mich manchmal eine kühle Gefühlswendung, die sich so eindeutig gibt, als werde sie auf dem Trapez, und sei es auch das höchste, vollführt und nicht im Herzen; sie ist einwandfrei, aber das genügt gewiß Ihnen am allerwenigsten. So z. B. die Wendung im Trostgesang, die das Gedicht, das doch auf höchste Wahrheit ausgeht, erfüllt, wie mit zwei riesigen Stützbalken. Oder zum Teil auch im Gekreuzigten, in dessen einzelnen Versen man allerdings versinkt. Ein starkes Gegenbeispiel in meinem Sinn ist etwa der Herbstgesang, der in seiner Gänze schwebt und darum auch tragen kann.

Ich wundere mich nicht darüber, dass Sie bei Verlagen Schwierigkeiten haben, Sie verblüffen weder, noch erschrecken Sie, aber ebenso gewiß, als Sie das nicht tun, ist: dass man auf die Dauer den Gedichten nicht widerstehen kann. Deshalb glaube ich aber auch nicht - Ihre vielleicht besseren Gegenbeweise kenne ich nicht - dass wirklich jemand geradezu gegen Sie tätig ist oder vielmehr dass man auch ohne den Glauben an solche Feindseligkeit - der Glaube daran verbittert doch - die Schwierigkeiten der ersten Zeit verstehen kann. Was Kurt Wolff betrifft, so will ich natürlich alles was Sie wissen wollen, zu erfahren versuchen. Nicht direkt, denn mein Verkehr ist hiezu viel zu geringfügig und einflußlos, wohl aber durch meinen Freund Max Brod. Schreiben Sie mir nur um was es sich im Einzelnen handelt oder besser, was im Einzelnen gefragt oder getan werden soll und in welcher Art.

Mit besten Grüßen Ihr sehr ergebener

Franz Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at