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Max Brod an Franz Kafka
[Prag]
Lieber Franz -
Dank für Brief vom 10. Das Wort "Menschenwürde" darin
ist ein gutes Wort und es ist davon Kraft ausgegangen, die ich gerade in
der vorigen Woche besonders gebraucht habe. Es war nämlich eine Woche der Entscheidungen, falls es so etwas überhaupt
gibt, was ich heute schon wieder bezweifle. -
Heute vor 8 Tagen, Montag sagte mir St. (du kennst
die Geheimnisse meines Tagebuches), dass sie sich wieder verloben
soll. Mit einem Trottel, Baron. Soll sich taufen lassen. Entscheidung in
8 Tagen. Sie will nur einen, den sie gar nicht lieben kann, den sie verachtet.
- Diese wunderbare Reinlichkeit ihrer Entschlüsse. An demselben Abend
sagte sie (ich riet gegen diese Verbindung), sie werde es nicht tun. Und
ihr Wort gilt. Trotzdem kam ich schluchzend nach Hause. Chanukalichter
vorbereitet. Unmöglichkeit. Beginn der Aussprache mit meiner Frau,
die drei Tage und zwei mehr oder minder schlaflose Nächte dauerte.
Sagte alles, sogar Namen von St. Las wenn auch nicht dieses letzte, so
doch frühere Tagebücher vor. Zum Beweis, dass niemals Einheit
in dieser Ehe und vor ihr war. - Hatte die Absicht, von E. wegzugehen,
und doch wieder nicht. - Schließlich übernahm meine Frau die
Entscheidung. Natürlich für mich, trotz allem. - Positive Gegenkräfte
wachsen aus jedem Entschluß, ich fühle, dass Unentschiedenheit
ärger war. Und der andere Entschluß wäre jedenfalls nicht
leichter gewesen. - Wie es sein wird, weiß ich nicht. - Wir wollen
es versuchen. Meine Frau tut Übermenschliches. Ich bin matt. - Am
Samstag war ich mit St. zum letztenmal beisammen. Es grauste uns beiden.
Und vor allem: es wird doch nicht das leutemal gewesen sein. Aber trotzdem
bleibt es ein Einschnitt, der auch durch Nachfolgendes nicht mehr zu überkleistern
sein wird. Es gab sich doch deutlich als Anfang einer beiderseits eingesehenen
Unmöglichkeit.
Von den Malheuren das Kleinste: der Roman stockt
in der letzten Szene. Gefühllos will ich nicht weiterschreiben
und so wie bisher kann ich es nicht. - Was Schlaf, körperliche Gesundheit
anlangt, fühle ich mich wohler als vorher.
Es ist trotz allem unsicher, wie es weitergehen
wird.
Tausenderlei wäre noch davon zu sagen. - Ich
wollte dir nur die Tatsachen melden, damit dich längeres Schweigen
nicht beunruhigt.
__________
"Anbruch". Adresse doch nicht von mir!
Vielleicht von Fuchs.
Premiere in Dresden erst im März. - Wann kommst
du nach Prag? - Hat dir Werfel geantwortet? Ich sandte ihm meine "Esther"
mit, habe keine Nachricht von ihm. - Hast du "Esther" erhalten?
Ich sandte dir das Buch.
Max
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
stockt in der letzten Szene: Am 25. Dezember 1917 heißt es in Brods Tagebuch: "Roman "Wagnis" vollendet".
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |