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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

5.12. [1917]
 

Lieber Franz -

Dank für Brief und Karte. Deinen Brief habe ich an Werfel (Wien, Grabenhotel) weitergeschickt. -

    Die Adresse von Körner ist Wien IX, Porzellangasse 16.

    Deine Schwester soll den Brief von Janáček gut aufheben und ihn nicht in unrechte Hände kommen lassen, da Kritisches über Zeitgenossen drinsteht. Natürlich gehört er ihr.

    Die Einladung zum Anbruch ist von mir unabhängig, obwohl auch ich eine Einladung erhielt.

    Ich hoffe zur Generalprobe nach Dresden fahren zu können. Inder Hud. Revue stand eine sehr lobende Kritik meiner Pastorkyna-Übersetzung.

    Nun glaube ich, alles beantwortet zu haben und kann dir aus meiner eigentlichen Sorge heraus schreiben. Ich fürchte also, dass die Mäuseplage, verbunden mit den schlaflosen Nächten (von Feueraugen sprichst du selbst!), dich um die Erfolge der Kur bringen und ein mäuseloses Sanatorium wieder wünschenswert erscheinen lassen wird. Du schreibst auch gar nichts über dein Befinden, Husten, Atemnot. Wenn ich glauben könnte, dass diese letzteren aus deinem Leben ebenso radikal geschwunden sind wie aus deinen Briefen! -Vorläufig aber bitte ich dich dringend, dich als Patienten zu betrachten und mir eventuell einige, wie es im Amtsjargon heißt, "Leer-Berichte" zu senden, keinesfalls aber die Tatsache deines Krankseins oder Krankgewesenseins totzuschweigen.

    Wann kommst du nach Prag? Dies die Hauptfrage. Denn diesmal wird man sich entscheiden müssen. -

    Ich finde wirklich nicht, dass ich in den Briefen zu wenig über mich schreibe. - Aber diese Illusion kommt vielleicht daher, dass ich in meinem Roman zu viel von mir schreibe. Ich habe mich in drei Personen geteilt, die einander bedauern, einander mit Schonung und Wohlwollen behandeln.

    A propos Schonung: ich bin jetzt eben launenhaft und bitte dich das mit dem Kein-Geschenk-Nehmen als Laune anzusehen, die man einem Kranken nachsehen muß.

    Ich bin wirklich krank und deine Art, mich immer als normal oder abnorm gesund hinzustellen, tröstet mich nicht. Wohl aber fühle ich, dass deine Abwesenheit von Prag ein gewaltiges Minus in meinem Leben darstellt. Wenigstens hat sich alles in den paar Tagen, die ich mit dir zusammen war, sehr gebessert und ist seither wieder schlimmer geworden. Schade, dass ich dir nicht mein Tagebuch gründlicher vorgelesen habe. Du hättest mir vielleicht doch raten können. - Heute lebe ich nur durch den Roman. Wie es mit mir aussehen wird, wenn ich die glückliche Lösung von mir Iosgeschrieben haben und nur die traurige Nicht-Lösung weiterzuexistieren haben werde, das weiß ich noch nicht. Doch bin ich weder besonders gespannt auf diesen Zeitpunkt noch besonders ängstlich. Ich glaube an ein dazwischentretendes Wunder, das mich über den kritischen Moment hinwegtreiben wird. - Ich war neulich beim Rabbi von Brzezany. Mit Langer (der sich um eine Stelle in der Kultusgemeinde bewirbt, dies nebenbei). Der Rabbi sprach sofort recht unvermittelt über Esther mit mir, dann über Moses, stellte eine kunstvolle Verbindung zwischen dem Stab, mit dem der König Esther berührt, und dem Stabe Mosis her. - Kündigt sich das Wunder so an?

Dein Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Generalprobe: Es handelt sich um Brods Drama Die Höhe des Gefühls, das erst im März 1918 in Dresden zur Uraufführung gelangte.


Hud. Revue . .. Pastorkýna-Übersetzung: Siehe Anm. 20 oben. Die Hudební Revue ("Zeitschrift für Musik") war eine von Karel Stecker und Karel Hoffmeister herausgegebene Monatsschrift.


Langer: Siehe 1916, Anm. 16.


Esther: Siehe Anm. 17 oben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at