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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

24.9. [1917]
 

Lieber Franz,

Ich bin von den Nachrichten, die Frl. Bauer gebracht hat, sehr beunruhigt.

Du willst also wirklich nicht gegen Mitte Oktober zur ärztlichen Untersuchung hereinkommen, wie du mir doch versprochen hast???? Das ist der Hauptpunkt, neben dem das Übrige leichter wiegt. Ich bitte, schreibe mir doch Beruhigendes über diese Sache! Ich erwarte dich bestimmt in Prag, spätestens 10. Oktober. -

    Kein Thermometer! Kalte Milch zum Frühstück! Unabgekocht, also voll mit Tuberkelbazillen! Von 8 Uhr früh bis 2 Uhr Mittag keine Zwischenmahlzeit! Keine Liegekur, weil kein Liegestuhl und keine Decken zum Einpacken! - Es tut mir leid, dass ich Fräulein Ottla, die den Ernst der Situation gar nicht zu begreifen scheint, die nicht weiß, dass es sich um Leben und Tod handelt, - dass ich sie nicht sprechen konnte. Bei aller guter Pflege und Liebe, die sie dir sonst angedeihen läßt, steht sie doch zu sehr unter deiner Suggestion. Eine Krankenpflegerin muß befehlen können, sie aber scheint dir nur zu gehorchen. Und du nimmst die Sache leider nicht ernst genug.

    Wäre ich kräftig wie früher, so wäre ich schon in Zürau. Doch mir geht es so furchtbar schlecht, dass ich nicht darauf rechnen kann, mich zu dieser Reise aufzuschwingen. - Also bitte ich dich doch, selbst zu Verstand zu kommen.

    Du beurteilst deinen Fall für die Gegenwart zu leicht und für die Zukunft zu schwer, wie ich glaube. - Ich erfahre jetzt, dass fast alle Menschen, die ich kenne, einen Lungenspitzenkatarrh glücklich überstanden und total ausgeheilt haben. So z. B. Frau Antschi Riemer die Kusine meiner Frau, oder der Dichter Rudolf Fuchs, der neulich bei mir war. - Freilich haben sie in der kritischen Zeit nach der akuten Erkrankung alle ärztlichen Vorschriften genau befolgt und haben nicht, wie du, ein willkürliches Potpourri der Rezepte nachlässig heruntergespielt. - Was hat Schnitzer geantwortet??

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Dank für 2 Briefe, Karte und Mehl! Jetzt brauche ich nur noch deine Temperaturkurve! - Zu deinen Briefen will ich nur sagen, dass dir mein Schmerz sehr klar zu sein scheint, während ich den deinen doch nicht recht verstehen kann. Seltsam, in deiner und Felixens (Weltsch) Lage wußte ich recht gut, was ich tun müßte. Oder es scheint mir wenigstens so. Für mich aber bin ich ganz ratlos. - Sollte die Perspektive so täuschen können? - Namentlich wenn ich Frl. F. sehe und dazu im Ohre habe, wie gut du immer von ihr sprichst, so ist mir dein Widerstand nicht recht begreiflich. Doch ist dies vielleicht frivol, leichtfertig gesagt, - ich bin eben noch ein Neuling der Unentschlossenheit. Ich habe auch gar nicht die Fähigkeit, so in ihr zu leben, wie du es tust, sie gleichsam als Hausrat in mein Leben einzustellen. Ich stolpere bei jedem Schritt über sie, ich schlafe nicht, schreibe nicht, denke nicht; - am Ende ist mein Zustand noch besser als der deine. Er drängt zur Krise; zur Entscheidung. Doch auch das ist möglicherweise nur die falsche Perspektive des Anfängers. - Viele Grüße an dich und deine Schwester.

Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Rudolf Fuchs: (1890-1942) nahm damals - neben Otto Pick, Franz Werfel und Brod - unter den aktiven Vermittlern zwischen deutscher und tschechischer Kultur vor allem durch seine Übersetzungen tschechischer Lyrik eine bedeutende Stellung ein: Die schlesischen Lieder des Petr Bezruč, verdeutscht von Rudolf Fuchs und mit einer Vorrede von Franz Werfel, war 1916 bei Kurt Wolff erschienen. Ein Band seiner eigenen Lyrik - Karawane. Gedichte, Leipzig: Kurt Wolff 1919 - befindet sich in Kafkas nachgelassener Bibliothek; sein Gedicht "Verkündigung", das 1917 in Der Jude (Dezemberheft) erschien, hat er Max Brod gewidmet.


Schnitzer: Kafka hatte diesen Apostel der Naturheilkunde, Moriz Schnitzer, 1911 in Warnsdorf (vgl. 1911 Anm. 11) kennengelernt. Dazu notiert Brod: "Kafka . . . erzählt sehr hübsche Dinge von der Gartenstadt Warnsdorf, einem "Zauberer", Naturheilmenschen, reichen Fabrikanten, der ihn untersucht ... Als Heilmittel empfiehlt er: bei offenem Fenster schlafen, Sonnenbad, Gartenarbeit, Tätigkeit in einem Naturheil-Verein und Abonnement der von diesem Verein, respektive dem Fabrikanten selbst, herausgegebenen Zeitschrift. Spricht gegen Ärzte, Medizinen, Impfen. Erklärt die Bibel vegetarisch..." (FK 97).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at