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[Postkarte. Stempel: Prag, 5. 9. 17]

[An.] Herrn Dr Max Brod Prag k.k. Postdirektion

[Abs.:] Dr Kafka Prag Pořič


Lieber Max, ein Durchschlagsbrief für Dich und Felix: Die erste Erklärung für meine Mutter war erstaunlich leicht. Ich sagte einfach nebenbei, ich werde vielleicht vorläufig keine Wohnung mieten, ich fühle mich nicht recht wohl, etwas nervös und werde lieber versuchen, einen größeren Urlaub zu bekommen und dann zur Ottla fahren. Infolge ihrer grenzenlosen Bereitschaft, mir auf die geringste Andeutung hin, einen beliebigen Urlaub zu geben (falls es auf sie ankäme), fand sie in meiner Erklärung nichts Verdächtiges, und so wird es auch wenigstens vorläufig bleiben, das gilt auch für den Vater. Deshalb bitte ich Dich, falls Du zu jemandem von der Sache sprichst (an und für sich ist es natürlich gar kein Geheimnis, mein irdischer Besitzstand hat sich eben auf der einen Seite um die Tuberkulose vergrößert, allerdings auch auf der andern Seite etwas verkleinert), gleichzeitig oder, falls es schon geschehen ist, nachträglich hinzuzufügen, dass er meinen Eltern gegenüber von der Sache nicht spricht, selbst wenn er im Gespräch irgendwie herausgefordert werden sollte. Wenn es so leicht ist, vorläufig eine Sorge von den Eltern abzuhalten, soll man es doch gewiß versuchen.

        Noch einmal, ohne Durchschlag, danke ich Dir Max, es war doch sehr gut, dass ich hingegangen bin und ohne Dich wäre es gewiß nicht geschehn. Du sagtest dort übrigens, ich wäre leichtsinnig, im Gegenteil, zu rechnerisch bin ich und dieser Leute Schicksal sagt schon die Bibel voraus. Aber ich klage ja nicht, heute weniger als sonst. Auch habe ich es selbst vorausgesagt. Erinnerst Du Dich an die Blutwunde im "Landarzt"? Heute kamen Briefe von F., ruhig, freundlich, ohne jede Nachträglichkeit, so eben wie ich sie in meinen höchsten Träumen sehe. Schwer ist es jetzt, ihr zu schreiben.

Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


dass ich hingegangen . . . nicht geschehn: Am 4. September schreibt Brod in seinem Tagebuch: "Nachm. mit Kafka bei Prof. Friedl Pick. So lange brauchte es, um das durchzusetzen. Konstatiert Lungenspitzenkatarrh. Urlaub 3 Monate. Es ist Gefahr Tuberkulose. Gott! Es wird doch nicht so etwas Grauenhaftes geschehen. Mein Freund!" (vgl. FK 744).


"Landarzt": Die wahrscheinlich Anfang 1917 entstandene Erzählung "Ein Landarzt", die Anfang 1918 in dem Kurt Wolff Almanach Die neue Dichtung veröffentlicht wurde.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at