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[Tagebuch, 6. Juli 1916; Donnerstag]

6 Juli (1916) Unglückliche Nacht. Unmöglichkeit mit F. zu leben. Unerträglichkeit des Zusammenlebens mit irgendjemandem. Nicht Bedauern dessen, Bedauern der Unmöglichkeit nicht allein zu sein. Weiter aber: Unsinnigkeit des Bedauerns, sich Fügen und endlich Verstehn. Von der Erde aufstehn. Halte Dich an das Buch. Aber wieder zurück: Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, von dem hohen Fenster hinunterspringen, aber auf den vom Regen durchweichten Boden, auf dem der Aufschlag nicht tötlich sein wird. Endloses Wälzen mit geschlossenen Augen, dargeboten irgendeinem offenen Blick.

Nur das alte Testament sieht - nichts darüber noch sagen.

Traum von Dr. Hanzal, saß hinter seinem Schreibtisch, irgendwie gleichzeitig angelehnt und vorgebeugt, wasserhelle Augen, führt langsam und genau in seiner Art einen klaren Gedankengang aus, höre selbst im Traume kaum etwas von seinen Worten, folge nur dem Methodischen von dem sie getragen werden. War dann auch mit seiner Frau beisammen, sie trug viel Gepäck, spielte erstaunlicher Weise mit meinen Fingern, ein Stück aus dem dicken Filz ihrer Ärmel war herausgerissen, dieser Ärmel, dessen kleinsten Teil ihre Arme ausfüllten, war mit Erdbeeren gefüllt.

[Ausgelacht zu werden kümmerte Karl unbeschreiblich wenig. Was waren das für Burschen und was wußten sie. Glatte amerikanische Gesichter mit nur zwei drei Falten, diese aber tief und wulstig eingeschnitten, in die Stirn oder auf einer Seite der Nase und des Mundes. Geborene Amerikaner, deren Art festzustellen förmlich ein Behämmern ihrer steinernen Stirnen genügte. Was wußten sie,]

Einer lag schwer krank im Bett. Der Arzt saß beim Tischchen, das an das Bett geschoben war, und beobachtete den Kranken, der wiederum ihn ansah. "Keine Hilfe" sagte der Kranke, nicht als frage sondern als antworte er. Der Arzt öffnete ein wenig ein großes medicinisches Werk, das am Rande des Tischchens lag, sah flüchtig aus der Entfernung hinein und sagte, das Buch zuklappend: "Hilfe kommt aus Bregenz. " Und als der Kranke angestrengt die Augen zusammenzog, fügte der Arzt hinzu: Bregenz in Vorarlberg. "Das ist weit" sagte der Kranke

Die ewige Anspannung, Spaziergang nach Auschowitz. Lehrer Zeidler, die Damen mit den Kirschen, Schwämme suchen, Essen auf dem Balkon, Erzählen vom Bruder, Vortrag über Pestalozzi, Vorlesung des "Junggesellen", sie bei der Handarbeit, als "Zeitung" in der Erzählung vorkommt, ruft sie: Wir wollten ja Zeitung kaufen, zu meinem Heft sagt sie: es ist schön, wie kommst Du dazu und als ich frage, was sie damit meint: Nun durch guten Geschmack hast Du mich ja nicht verwöhnt. Sie entringt mir zum Schluß das Heft, um eine Seite kurz zu streifen und das Heft zuzuklappen. Hat Eile Tee trinken zu gehn hat es schon während des Vorlesens angekündigt.

Nimm mich auf in Deine Arme, das ist die Tiefe, nimm mich auf in die Tiefe, weigerst Du Dich jetzt, dann später

Nimm mich, nimm mich, Geflecht aus Narrheit und Schmerz

Es fuhren die Neger aus dem Gebüsch. Um den mit silberner Kette umzogenen Holzpflock warfen sie sich im Tanz. Der Priester saß abseits ein Stäbchen über dem Gong erhoben. Der Himmel war umwölkt aber regenlos und still.

Ich war noch niemals außer in Zuckmantel mit einer Frau vertraut. Dann noch mit der Schweizerin in Riva. Die erste war eine Frau, ich unwissend, die zweite ein Kind, ich ganz und gar verwirrt. Mit F. war ich nur in Briefen vertraut, menschlich erst seit 2 Tagen. So klar ist es ja nicht, Zweifel bleiben. Aber schön der Blick ihrer besänftigten Augen, das Sichöffnen frauenhafter Tiefe

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at