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[Tagebuch, 19. April 1916; Mittwoch]

19. April 1916

Er wollte die Tür zum Gang öffnen aber sie widerstand. Er blickte hinauf, hinunter, das Hindernis war nicht zu finden. Auch versperrt war die Tür nicht, der Schlüssel steckte innen, hätte man von außen zuzusperren versucht, wäre der Schlüssel herausgestoßen worden. Und wer hätte denn zusperren sollen? Er stieß mit dem Knie gegen die Tür, das Mattglas erklang, aber die Tür blieb fest. Sieh nur. - Er gieng ins Zimmer zurück, trat auf den Balkon und blickte auf die Straße hinab. Er hatte aber das gewöhnliche Nachmittagsleben unten noch nicht mit einem Gedanken erfaßt, als er wieder zur Tür zurückkehrte und nochmals zu öffnen versuchte. Aber nun war es kein Versuch, die Tür öffnete sich sogleich, es bedurfte kaum eines Druckes, vor dem Luftzug, der vom Balkon her strich, flog sie geradezu auf, mühelos wie ein Kind, das man zum Scherz die Klinke berühren läßt, während ein Größerer sie in Wirklichkeit niederdrückt, erlangte er den Eintritt zu dem Gang.

Ich werde 3 Wochen für mich haben. Heißt das grausam behandelt werden?

Vor kurzem geträumt: Wir wohnten auf dem Graben in der Nähe des Cafe Kontinental. Aus der Herrengasse bog ein Regiment ein, in die Richtung zum Staatsbahnhof. Mein Vater: "So etwas muß man sehn, solange man dazu imstande ist" und schwingt sich (im braunen Schlafrock des Felix, die ganze Gestalt war eine Vermischung beider) auf das Fenster und spreizt sich draußen mit ausgestreckten Armen auf der sehr breiten, stark abfallenden Fensterbrüstung. Ich packe ihn und halte ihn an den beiden Kettchen, durch welche die Schlafrockschnur gezogen ist. Aus Bosheit streckt er sich noch weiter hinaus, ich spanne meine Kräfte auf das äußerste an, um ihn zu halten. Ich denke daran, wie gut es wäre, wenn ich meine Füße mit Stricken an irgendetwas Festem anbinden könnte um nicht vom Vater mitgezogen zu werden. Allerdings müßte ich, um das zu bewerkstelligen, den Vater wenigstens ein Weilchen lang loslassen und das ist unmöglich. Diese ganze Spannung erträgt der Schlaf - und gar mein Schlaf nicht und ich erwache.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at