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[An Ottla Kafka: Zwei Ansichtspostkarten, fortlaufend beschrieben: Marienbad, Schloß Balmoral und Osborne, Parkpartie mit Osborne Entrée und Parkpartie mit Halle]

[Stempel: Marienbad - 12. VII. 16]
 


Meine liebe Ottla: auch ich schreibe Dir noch ausführlicher, wenn es noch dafür steht und wenn es nicht besser ist, wir erzählen uns alles nächstnächsten Dienstag im Chotekpark. Heute nur das: es ist mir viel besser gegangen als ich denken konnte und vielleicht auch F. besser als sie dachte. Nun das soll sie Dir selbst schreiben. Nach Eisenstein komme ich nicht. Morgen fährt F. weg, dann will ich sehn, was der (auch heute schmerzende) Kopf noch zustandebringt. Das wird besser möglich sein, hier wo ich eingewöhnt bin und schön wohne. Nächtes Jahr aber fahren wir zusammen in die dann hoffentlich freie Welt.

Dein Franz


Wie wäre es wenn Du auf paar Tage her kämest? Liebe Ottla, das wäre sicher das Beste. Hier ist es nämlich herrlich. Wie gut es uns nun geht und wie stark wir uns fühlen, kannst Du sehen, dass wir morgen Deine Mama besuchen.

Herzlichst Felice




Obwohl Kafka als vom Militärdienst Zurückgestellter keinen Anspruch auf einen regelrechten Sommerurlaub hatte (vgl. F 656), ging es ihm gesundheitlich doch so schlecht (F 652 und 659), dass er im Juli 1916 im Hotel "Schloß Balmoral" in Markenbad Erholung suchte. (Br 137) Der Aufenthalt dauerte vom 3. bis zum 24. des Monats; Felice, mit der er damals wieder zusammenfand (vgl. F 663 und T 502 ff.), war bis 13. bei ihm. Noch 1922 notiert er ins Tagebuch, dass er "in Marienbad vierzehn Tage glücklich war". (Vgl. T 567)


Chotekpark: Die von der Prager Altstadt aus in wenigen Minuten zu erreichenden kleinen Anlagen, die der Oberstburggraf Chotek zwischen 1826 und 1834 hatte anlegen lassen, waren der Lieblingsaufenthalt der Geschwister in Prag. Zu den Einzelheiten vgl. KO 437 f.


Eisenstein: Die Adresse dieser Karte lautet "Markt Eisenstein, Hotel Seidel". Ottla verbrachte in der ersten Julihälfte ihren Urlaub in diesem Ort im Böhmerwald.


in die dann hoffentlich freie Welt: Vgl. Kafkas Ausführungen Br 140.


dass wir morgen Deine Mama besuchen: Ottla schrieb am 15. Juli an David: "Der Franz und die Felice waren von Marienbad aus, die Mutter besuchen und haben mir gemeinsam geschrieben. Vom Franz bekam ich früher schon zwei Karten, die sehr ruhig ausschauen." (Julie Kafka war seit 12. Juli mit Valli in Franzensbad zur Kur, der Vater fuhr spätestens an diesem Tag nach Prag zurück.) Auch Kafka schrieb an Max Brod: "das Schöne und Leichte hatte die Oberhand, selbst in Gegenwart meiner Mutter, und das ist erst recht außerordentlich". (Br 140)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at