Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
[An Ottla Kafka: Zwei Ansichtspostkarten, fortlaufend beschrieben: Marienbad, Schloß Balmoral und Osborne, Parkpartie mit Osborne Entrée und Parkpartie mit Halle]
Meine liebe Ottla: auch ich schreibe Dir noch ausführlicher, wenn
es noch dafür steht und wenn es nicht besser ist, wir erzählen
uns alles nächstnächsten Dienstag im Chotekpark.
Heute nur das: es ist mir viel besser gegangen als ich denken konnte und
vielleicht auch F. besser als sie dachte. Nun das soll sie Dir selbst schreiben.
Nach Eisenstein komme ich nicht. Morgen fährt F.
weg, dann will ich sehn, was der (auch heute schmerzende) Kopf noch zustandebringt.
Das wird besser möglich sein, hier wo ich eingewöhnt bin und
schön wohne. Nächtes Jahr aber fahren wir zusammen in
die dann hoffentlich freie Welt.
Dein Franz
Wie wäre es wenn Du auf paar Tage her kämest? Liebe Ottla,
das wäre sicher das Beste. Hier ist es nämlich herrlich. Wie
gut es uns nun geht und wie stark wir uns fühlen, kannst Du sehen,
dass wir morgen Deine Mama besuchen.
Herzlichst Felice
Obwohl Kafka als vom Militärdienst Zurückgestellter keinen Anspruch
auf einen regelrechten Sommerurlaub hatte (vgl. F 656), ging es ihm gesundheitlich
doch so schlecht (F 652 und 659), dass er im Juli 1916 im Hotel "Schloß
Balmoral" in Markenbad Erholung suchte. (Br 137) Der Aufenthalt dauerte
vom 3. bis zum 24. des Monats; Felice, mit der er damals wieder zusammenfand
(vgl. F 663 und T 502 ff.), war bis 13. bei ihm. Noch 1922 notiert er ins
Tagebuch, dass er "in Marienbad vierzehn Tage glücklich
war". (Vgl. T 567)
Chotekpark: Die von der Prager Altstadt aus in wenigen
Minuten zu erreichenden kleinen Anlagen, die der Oberstburggraf Chotek
zwischen 1826 und 1834 hatte anlegen lassen, waren der Lieblingsaufenthalt
der Geschwister in Prag. Zu den Einzelheiten vgl. KO 437 f.
Eisenstein: Die Adresse dieser Karte lautet "Markt
Eisenstein, Hotel Seidel". Ottla verbrachte in der ersten Julihälfte
ihren Urlaub in diesem Ort im Böhmerwald.
in die dann hoffentlich freie Welt: Vgl. Kafkas
Ausführungen Br 140.
dass wir morgen Deine Mama besuchen: Ottla
schrieb am 15. Juli an David: "Der Franz und die Felice waren von
Marienbad aus, die Mutter besuchen und haben mir gemeinsam geschrieben.
Vom Franz bekam ich früher schon zwei Karten, die sehr ruhig ausschauen."
(Julie Kafka war seit 12. Juli mit Valli in Franzensbad zur Kur, der Vater
fuhr spätestens an diesem Tag nach Prag zurück.) Auch Kafka schrieb
an Max Brod: "das Schöne und Leichte hatte die Oberhand, selbst
in Gegenwart meiner Mutter, und das ist erst recht außerordentlich".
(Br 140)
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at