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[An Ottla Kafka]

[Prag, 28. Mai 1916]
 


Was für Einbildungen. Ich habe doch nicht die geringste Ursache mich zu ärgern. Wenn man nicht einmal in der Verfügung über seinen Sonntagnachmittag halbwegs frei wäre, dann wäre es ja hier schon die wahre Hölle, während es ja bekanntlich nur die Vorhölle ist. Nach Karlstein fahre ich nicht, weil ich nicht weiß, mit wem Du dort bist und weil mein Unbehagen in Prag gerade groß genug ist, um es nicht noch in Bewegung bringen zu wollen. übrigens regnet es gerade während Du im Wald zwischen Karlstein und St. Johann steckst. Beides ohne meine Mitschuld.




Ottla hat den Brief einem Schreiben beigelegt, das sie am Abend des 28. Mai 1916 an ihren Freund Josef David sandte. Es heißt dort: "Der Franz hat mir auf dem Tisch einen Brief gelassen, ich schicke Dir ihn, ich glaube, dass ihm die Karte aus Karlstein gefallen wird."


Karlstein: Die 28 km südwestlich von Prag im Berauntal gelegene, von Karl IV. erbaute Burg war ein beliebtes Ausflugsziel Kafkas und seiner Freunde (vgl. M. Brod, Streitbares Leben 1884-1968, München, Berlin, Wien [1969], S. 23).


mein Unbehagen: An diesem Tag schrieb Kafka an Felice: "im Kopfe wühlt es seit 5 Tagen wie schon seit langem nicht." (F 658)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at