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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 23.XI.16
 


Liebste, das glaube ich eben auch, wie könnte ich sonst in diesem Zustande weiterleben (Kopfschmerzen mit eingerechnet). Ich bin zwar nicht überzeugt, dass solche Streitigkeiten (gräßliche Konditorei!) nicht wieder vorkommen werden, aber sie werden nicht die Spannung des kurzen Beisammenseins, des vagen und gespensterreichen Provisoriums als Verstärkung der Bitternis haben und deshalb als allgemeine menschliche Not ertragen werden müssen. Du wirst auf den Stein schlagen, und der Stein wird ein wenig geritzt werden. Zerbröckelt er nicht vorzeitig, wird er es ertragen, ebenso wie es die Hand wird ertragen müssen. - Was mich augenblicklich betrifft, so beherrschen mich, von den heutigen ausnahmsweisen (seit München) Kopfschmerzen abgesehn, fast ausschließlich die Gedanken an den Wohnungswechsel und die kleinen, aber innerhalb des allgemeinen Negativums, in dem ich lebe, wenigstens positiven Hoffnungen, die sich daran knüpfen. Schon mein Gang in das Wohnungsbureau war eine nicht zu verachtende Leistung. Seitdem umschweben mich 3 Frauen in unverdienter Freundlichkeit, die Inhaberin des Wohnungsbureaus, die Hausmeisterin des Hauses, in dem ich wohnten will, und das Dienstmädchen der Partei, die mir ihre Wohnung überlassen will. Seit gestern hat sich ihnen noch meine Mutter, wirklich sehr gütig, angeschlossen. Mehr verrate ich nicht, erst übermorgen, bis es sich entscheidet. - Morgen gehn die Bücher an Dich ab.

Franz




Ich bin zwar nicht ... : Die Bemerkung bezieht sich auf den gemeinsamen Aufenthalt in München, 10.-12. November 1916.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at