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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 21. XI.16
 


Liebste, seit Tagen, Tagen keine Nachricht mehr. Warum? Wollen Dir meine letzten Karten nicht eingehn? Aber sie betreffen doch den Kernpunkt des Zusammenlebens. Ich kann mir - um jetzt nur davon zu reden - gerade von Dir den Vorwurf der Eigensucht nicht immer wieder, so leicht, so nebenbei, so selbstverständlich und mit der dahinterstehenden Drohung der Unaufhörlichkeit machen lassen. Er trifft mich ja schwer, denn er ist richtig. Unrichtig ist nur, dass Du, gerade Du mir ihn machst, dass Du damit, vielleicht viel weniger durch die Tat als durch Worte, eine Berechtigung dieser Eigensucht leugnest, die weniger, unvergleichlich weniger auf die Person als auf die Sache geht. Der Glaube daran, dass ich in dieser letztern Hinsicht die Grenze richtig ziehe, ist allerdings Sache des Vertrauens zu mir. Jedenfalls: mein Schuldbewußtsein ist immer stark genug, es braucht keine Nahrung von außen, aber meine Organisation ist nicht stark genug, um häufig solche Nahrung hinunterzuwürgen.

Franz




Wollen Dir meine letzten Karten nicht eingehn?: Die unmittelbar vorhergegangenen Karten, auf welche sich diese Bemerkung bezieht, sind offenbar nicht erhalten.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at