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An Felice Bauer

30. Oktober 16
 


Liebste, keinen Brief, bitte verlange keinen Brief; hätte ich so Verdienstliches von mir mitzuteilen, wie Du im letzten Brief, wie würde meine Feder fliegen, Dir das zu schreiben. So aber-Mein Leben besteht aus zwei Teilen, der eine Teil nährt sich mit vollen Backen von Deinem Leben und wäre an sich glücklich und ein großer Mann, der andere Teil aber ist wie ein losgemachtes Spinngewebe, Freisein von Rüttelung, Freisein von Kopfschmerzen ist seine höchste, nicht allzu häufige Seligkeit. Was fangen wir mit diesem zweiten Teile an? Jetzt wird es zwei Jahre, dass er zum letzten Mal gearbeitet hat und ist doch nichts anderes als Fähigkeit und Lust zu dieser Arbeit. Nun, wir kommen ja hoffentlich bald, in to, 11 Tagen zusammen, auch aus dieser glücklichen Erwartung kommt zu viel Unruhe, tun viel zu schreiben. Käme nur kein Hindernis dazwischen!

In der Beilage einige Kleinigkeiten:

1.) Bild Ottlas, allerdings außerordentlich schlecht. Die einretouchierten Zähne und der offengelassene Mundwinkel sind nicht einmal die ärgsten Fehler.

2.) Brief Bubers, an dem ich heute bei nochmaligem Lesen eigentlich gar nichts Bemerkenswertes finde. Ich weiß nicht, warum ich davon geschrieben habe und ich schicke ihn nur, weil Du, durch meine Bemerkung irregeführt, ihn immer wieder verlangst.

3.) Als Beispiel der Beschäftigung jenes andern Teiles einen Aufruf. Du findest mich unter den Unterzeichnern, ursprünglich hätte ich oben im vorbereitenden Ausschuß sein sollen, bin dann aber, allerdings ohne allzu große Mühe, in die große Gruppe hineingeschlüpft. Auch der Text (wie so vieler anderer) ist von mir. Nun, darüber nichts weiter.

4.) Das Programmbüchlein der Vorlesungen. Auf der vorvorletzten Seite findest Du das "Urteil" angezeigt. Wolff scheint es aber, ohne mir übrigens darüber geschrieben zu haben, wieder zu unterdrücken. Wenn ich selbst leblos bin und nur auf das Leben in meinen Schläfen horche, ist es ja auch gleichgültig.

Über meine Richterin mach' Dir keine Gedanken, Liebste. Das ist ja das Beruhigende (wenn man will, auch das Beunruhigende) dabei, dass sie den Tatbestand aus S-io kurzen, seit einem ½ Jahr nicht mehr wiederholten Gesprächen hernimmt. Auf Wiedersohn, auf Wiedersehn.

Franz




Aufruf: Siehe Anhang S. 764. Die übrigen Beilagen sind nicht erhalten.


Wolff scheint ... unterdrücken : Kafkas Verdacht war unbegründet. "Das Urteils erschien noch Ende Oktober als Band 34 in Kurt Wolffs Bücherei Der jüngste Tag.


Über meine Richterin mach' Dir keine Gedanken, Liebste Vgl. Karte vom 24. Oktober 1916, S. 733. "Übrigens gibt es hier eine Richterin über mir ..."


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at