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Postkarte an Felice Bauer
Liebste, heute nichts, aber das wisse, den Schluß des Berichtes über
den ersten Heimabend muß ich noch bekommen. Die Hauptaufgabe wird
zunächst vielleicht die böse Hertha bilden. Sie muß doch
irgendeinen Grund für ihr Benehmen haben. Der Auftrag, den Du den
Mädchen gegeben hast, wird wohl kaum genügen, da doch die Mädchen
nicht gern mit ihr sprechen. Wäre es nicht gut, wenn Du geradezu an
sie schreiben würdest? Dagegen finde ich das Benehmen des andern Mädchens
am Schluß des Abends nicht so unbegreiflich, das hätte ich unter
Umständen auch gemacht. Für die vorzeitige Beendigung der Minna
von Bannhelm hast Du ja meine Zustimmung schon im voraus bekommen. Gewiß
ist es das beste. In das ihnen ganz und gar Unbegreifliche soll man die
Kinder nicht treiben. Zwar soll man nicht vergessen, dass selbst das
gelegentlich sehr gute Wirkungen erzielen kann, nur sind sie vollständig
unberechenbar. Ich denke dabei an einen Professor, der während der
Lesung der Ilias oft sagte: "Sehr schade, dass
man das mit Euch lesen muß. Ihr könnt es ja nicht verstehn,
selbst wenn Ihr glaubt, dass Ihr es versteht, versteht Ihr es gar
nicht. Man muß viel erfahren haben, ehe man auch nur einen Zipfel
davon versteht." - Diese Bemerkungen (der ganze Mann war allerdings
auf diesen Ton eingestellt) haben damals auf mich kalten Jungen mehr Eindruck
gemacht als Ilias und Odyssee zusammen. Vielleicht einen allzu demütigenden
aber doch wesenhaften wenigstens.
Franz
"Sehr schade, dass man ... versteht."
: Vermutlich ein Ausspruch von Kafkas Latein- und Griechischlehrer
Emil Gschwind. Vgl. Wagenbach, Biographie, S. 39.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at