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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 7. X. 16
 


Liebste, heute nichts, das Beste, der Bericht über den ersten Heimabend will natürlich erwartet sein, kommt nicht so ohne weiters im Fluge. Durch die Berechtigung, welche die Mädchen offen bekommen (wenn ich Dich richtig verstanden habe), wird die Sache vielleicht unnötig heikel gemacht, eine Kritik der doch an sich überkritischen herausgefordert. Das Gleiche und Besseres ließe sich doch erreichen, wenn man ihnen das Wahlrecht zwar wirklich aber nicht ausdrücklich zugestehen würde. Vielleicht geschieht das aber in der Weise und ich habe Dich nur nicht richtig verstanden. - Gerade dass es sich bei dem Bericht nur um Abschreiben handelt, hat mich geärgert. Abschreiberinnen finden sich doch leicht. Aber vielleicht ließ es sich dem Frl. gegenüber doch nicht gut ablehnen. In der Ferne ist man leicht streng. - Der Aufsatz von Max: Unsere Literaten und die Gemeinschaft wird vielleicht im nächsten Juden erscheinen. Willst Du mir übrigens nicht auch sagen, was ich eigentlich bin. In der letzten Neuen Rundschau wird die "Verwandlung" erwähnt, mit vernünftiger Begründung abgelehnt und dann heißt es etwa: "K's Erzählungskunst besitzt etwas Urdeutsches" In Maxens Aufsatz dagegen: "K's Erzählungen gehören zu den jüdischesten Dokumenten unserer Zeit."

Ein schwerer Fall. Bin ich ein Cirkusreiter auf 2 Pferden? Leider bin ich kein Reiter, sondern liege am Boden.

Franz




Juden: Brods Aufsatz erschien in Der Jude 1, Nr. 7 (Oktober 1916), S. 457ff.


gehören zu den jüdischesten Dokumenten: Robert Müller hatte in seinem Rezensionsaufsatz "Phantasie" Neue Rundschau, x916, Bd. 2, S. 1421 H: geschrieben: "Die sonst absichtslose Erzählerkunst Kafkas die etwas Urdeutsches, rühmlich Artiges, im Erzählenden Meistersingerliches besitzt, wird durch hypothetische Flicke auf ihrem schönen Sachgewande deformiert. In Max Brods Aufsatz "Unsere Literaten und die Gemeinschaft" heißt es über Kafka: "Obwohl in seinen Werken niemals das Wort >Jude< vorkommt, gehören sie zu den jüdischesten Dokumenten unserer Zeit."


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at