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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 1. X. 16
 


Liebste, heute wieder nichts. Schlechte, schlechte Nacht, an der Du zum Teil Schuld, Traumschuld hast. Folgender Angsttraum: Aus der Portierloge der Anstalt wird mir telephoniert, dass ein Brief für mich dort liegt. Ich laufe hinunter. Finde dort aber nicht den Portier, sondern den Vorstand der Einlaufstelle, in welche regelmäßigbdie Post zuerst kommt. Verlange den Brief. Der Mann sucht auf dem Tischchen, wo der Brief noch vor einem Augenblick gelegen haben soll, findet ihn aber nicht, sagt, die Schuld habe der Portier, der unberechtigter Weise den Brief dem Briefträger abgenommen hat, statt ihn in die Einlaufstelle geben zu lassen. Jedenfalls muß ich auf den Portier warten, sehr lange. Schließlich kommt er, ein Riese an Größe wie an Einfältigkeit. Er weiß nicht, wo der Brief ist. Ich, verzweifelt, werde mich beim Direktor beklagen, werde Konfrontation des Briefträgers und Portiers verlangen, bei der sich der Portier verpflichten soll, niemals mehr Briefe anzunehmen. Ich irre halb besinnungslos durch Gänge und Treppen, suche vergeblich den Direktor.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at