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Postkarte an Felice Bauer

[Stempel: Prag - 27. IX. 16]
 


26. IX. 16


Liebste, vorgestern, gestern, heute keine Nachricht, etwas lange, nicht? Allerdings verstehe ich es beiläufig, Du hattest eben Samstag und Sonntag keine Zeit. Nun ist aber auch sonst heute ein sehr schlechter Tag. Gestern allerdings war er desto besser, es war so schönes Wetter und ich hatte einen Ausflug gemacht, ganz allein, zu dieser Hochfläche mit der großen Aussicht, von der ich Dir schon einmal geschrieben habe. Es war wie im bessern Jenseits. Kennst Du eigentlich die Freuden des Alleinseins, Alleingehns, Allein-in-der Sonne-Liegens? Damit ist wahrhaftig nichts gegen das Zuzweitsein und nicht viel gegen das Zudrittsein gesagt. Aber was für ein Glück für die Gemarterten, für Herz und Kopf ist das! Kennst Du es? Bist Du allein schon weit gegangen? Die Fähigkeit dazu setzt viel vergangenen Jammer und auch viel Glück voraus. Ich weiß, als Junge war ich viel allein, aber es war mehr Zwang, selten freies Glück. Jetzt aber laufe ich in das Alleinsein, wie das Wasser ins Meer.


Viele Grüße Franz


Mit Max habe ich schon gesprochen, das einzige Buch, das er vorläufig nennen konnte, war eines von Scholem Aleichem. Mir aber - und schließlich auch ihm - scheint es zu ironisch und kompliciert für Kinder. Dagegen werde ich ein gutes Rätselbuch und vielleicht auch ein Beschäftigungsbuch Dir schicken, ich muß es nur finden.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at