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Vier Postkarten an Felice Bauer
Liebste wieder nur paar Worte, aber nahe gesprochen. Es ist das Heim, das
uns so nahe bringt. Vor den Fragen der Mädchen fürchte Dich nicht,
oder vielmehr fürchte Dich vor ihnen und halte diese Furcht als
den wichtigsten Nutzen des Heims fest. Es ist ja nicht eigentlich das Fragen,
vor dem Du Dich fürchtest, es ist auch das Nichtfragen, das Dich manchmal
beengen wird und es ist nicht nur das Fragen dieser Mädchen, sondern
auch jenes der drohenden oder segnenden "brauchbaren Menschen"
von denen Du lieb und ergeben schriebst. Im übrigen wird es Deine
Sache sein, ihr Vertrauen zu Dir auf anderes zu stellen als auf Religiöses
und wo darin ein Gemeinsames nötig wird, den dunklen Komplex des allgemeinen
Judentums, der so vielerlei Undurchdringliches enthält, wirken lassen.
Dadurch soll natürlich nichts verwischt werden, wie man es z. B. hier
nicht ungerne macht. Das wäre durchaus unrecht, glaube ich. Es fällt
mir nicht ein, in den Tempel zu gehn. Der Tempel ist nicht etwas, an das
man sich heranschleichen kann. Man kann es jetzt nicht, wie man es nicht
als Kind konnte; ich erinnere mich noch, wie ich als Kind in der fürchterlichen
Langweiligkeit und Sinnlosigkeit der Tempelstunden förmlich ertrunken
bin; es waren Vorstudien, welche die Hölle für die Gestaltung
des spätern Bureaulebens machte. Diejenigen welche sich nur infolge
ihres Zionismus an den Tempel herandrängen, kommen mir vor wie Leute,
die sich hinter der Bundeslade und durch sie den Eingang in den Tempel
erzwingen wollten, statt ruhig durch den allgemeinen Menscheneingang zu
gehn. Aber bei Dir verhält es sich, soweit ich sehe, gar nicht so
wie bei mir. Während ich den Kindern sagen müßte (natürlich
ist es nicht gut, solche Gespräche hervorzulocken und sie werden von
selbst nur sehr selten entstehn, denn Großstadtkinder haben genug
Umblick in der Welt und verstehn es, wenn sie Ostjuden sind, gleichzeitig
sich zu bewahren und den andern hinzunehmen), dass ich infolge meiner
Herkunft, Erziehung, Anlage, Umgebung nichts, was man aufzeigen könnte,
mit ihrem Glauben gemeinsam habe (das Halten der Gebote ist nichts Äußeres,
im Gegenteil der Kern des jüdischen Glaubens), während ich also
das ihnen irgendwie eingestehen müßte (und ich würde das
offen tun, ohne Offenheit ist hier alles sinnlos), bist Du vielleicht nicht
ganz ohne aufzuzeigende Verbindung mit dem Glauben. Es sind freilich vielleicht
nur halbvergessene Erinnerungen, begraben unter dem Lärm der Stadt,
des Geschäftslebens, des Wustes aller in den vielen Jahren eindringenden
Gespräche und Gedanken. Ich -,will nicht sagen, dass Du noch
bei der Tür stehst, aber vielleicht glänzt Dir doch noch irgendwo
in der Ferne die Klinke der Tür. Ich meine, vielleicht kannst Du den
Kindern auf ihre Frage wenigstens eine traurige Antwort geben, ich könnte
auch das nicht. Das aber wäre genug, um Dir in jedem Fall Vertrauen
zu gewinnen. Und wann beginnst Du nun, liebe Lehrerin?
Deiner Schwester habe ich geschrieben. Da Du mir einerseits meine Gegenargumente
nicht widerlegt hast, andererseits aber auch nicht vom Schreiben abgeraten
hast, habe ich einen lau überzeugten und entsprechend überzeugenden
Brief geschrieben.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at