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An Felice Bauer
Liebste, noch sehr früh, Arbeit wartet, Chef wartet, ein wieder einmal
schlecht ausgeschlafener Kopf will vielleicht lieber an der Stuhllehne
liegen, aber doch sitze ich hier an der Schreibmaschine für Dich.
Es scheint mir nämlich, dass ich die Freude, die mir Dein Brief
macht, nur auf größtem Raume ausdrücken kann, mit Freiheit
für alle Ellenbogen. Daß Ihr endlich zusammengekommen seid,
Du und das Heim, ist natürlich das Wichtigste, alles andere wird,
als die gute und allerbeste Sache, die es ist, sich von selbst ergeben.
Deiner Beurteilung des Äußerlichen stimme ich, soweit das von
der Ferne erlaubt ist, im Lob wie im Tadel vollständig zu (das Klavier
will ich allerdings nicht als Muster für unsere Wohnungseinrichtung
anerkennen), aber das alles ist ja nur ein Vorher und Nebenbei: Die Hauptsache
sind die Menschen, nur sie, die Menschen. Darüber möchte ich
noch sehr gern etwas hören. Über Dr. Lehmann und doch auch über
seinen Vortrag paar Worte. Was bedeutet z. B. der Widerspruch, der darin
liegt, dass Du sagst, das Gehörte hätte Dich weniger überrascht
(das soll doch wohl etwas abfällig klingen) und dass Du dann
wieder sagst, dass Du den Ideen des Vortrags seit langer Zeit fremd
gegenüberstehst (das will doch eigentlich eher ein Zuviel an Überraschung
als ein Zuwenig ausdrücken). Übrigens scheinst Du insofern hinsichtlich
des Vortrags ein besonderes Glück gehabt zu haben, als er die Kernfrage
behandelt hat, die meiner Meinung nach nie ruhen wird, immer wieder aufleben,
immer wieder den Boden des Zionismus in Unruhe bringen muß. Aber
gerade die Arbeit, um die es sich hier zuerst, auch für Dich handelt,
ist noch verhältnismäßig am besten vor den Störungen
jener Unruhe geschützt und vielleicht- zuviel vielleicht, das Wort
will gar nicht aus mir heraus. Jedenfalls genügt für die Arbeit,
die dort zunächst zu tun ist, schon ein Hauch der Geistesverfassung,
die etwa in den Memoiren wirkt, die ich Dir einmal geschickt
habe und die ich Dir wieder und immerfort ans Herz legen möchte. Also
von den Menschen möchte ich noch etwas hören, die dort waren,
auch von den Mädchen, die ich Deiner Meinung nach so schön gefunden
hätte. Waren auch Pfleglinge des Heims dabei? Gab es eine Debatte,
in deren Ablauf man irgendwelchen Menschen auf die Spur kam? Sehr gut,
dass auch Frl. Bloch dabei war. Was sagte sie dazu? Das freut so besonders
mich an dem Ganzen, dass ich irgendwie atmungsweise (es ist sehr unvorsichtig
von mir, dass ich es Dir sage, aber es ist sowohl die Sache zu wichtig,
als auch wir einander zu nahe, als dass Vorsichtigkeit zwischen uns
und hier noch Platz hätte) also dass ich irgendwie zu erkennen
glaube, dass Du hier in dem, was sich da vor Dir aufmacht, sehen mußt,
dass Du zum Teil (nur zum Teil, vollständig verleugnen kann sich
niemand, der Meinung mußt Du ja auch über mich sein, wenn Du
zu mir hältst) bisher vom eigentlich Wichtigen, das das Beste Deiner
Kraft aufzurühren imstande war, abgelenkt gewesen bist, dass
das Geschäft, die Familie, die Literatur, das Theater, ihrem Wesen
nach nur Teile jenes Besten in Anspruch nehmen konnten, dass jedoch
hier vielleicht die eigentliche Anknüpfung liegt, die wiederum auch
im Besten allen andern, der Familie u.s.w. zugute kommen wird. Ich habe
hiebei absichtlich das, was uns zwei und unsere Verbindung betrifft, nicht
berührt, das wollen wir schweigend halten. Aber wenn wirklich irgendein
Abglanz jenes Gedankens, nicht gleich von dem einen zufälligen Abend,
aber von dem Ganzen und von seinen Möglichkeiten auf Dich (und um
auch Deine bisherige Umgebung damit zu erfüllen, auch auf Frl. Bloch)
gefallen wäre, dann wäre ich sehr glücklich.
Was meine Kopfschmerzen betrifft, so sind sie in letzter Zeit im allgemeinen
wechselnd und daher auch im Durchschnitt zu ertragen, so schlimm sie auch
an einzelnen märtyrerhaften Tagen sind. Der Arzt, bei dem ich war
und der mich so genau als im allgemeinen Ärzte untersuchen können,
untersucht hat, war mir sehr angenehm. Ein ruhiger, etwas komischer aber
durch Alter, Körpermasse (wie Du zu einem so mageren, langen Ding
wie ich es bin Vertrauen bekommen konntest, wird mir immer unbegreiflich
bleiben) also durch Körpermasse, (dicke Lippen, breit mahlende Zunge)
durch nicht allzu große, aber auch gar nicht gespielte Teilnahme,
durch medizinische Bescheidenheit und noch durch anderes vertrauenerweckender
Mann. Er erklärte, nichts anderes vorzufinden als eine allerdings
außerordentliche Nervosität. Seine Ratschläge waren nun
allerdings sehr komisch: Wenig rauchen, wenig trinken (gelegentlich aber
doch) mehr Gemüse als Fleisch, am Abend lieber kein Fleisch, ein wenig
auf die Schwimmschule gehen u.s.f. und am Abend mich ruhig niederzulegen
und zu schlafen. Besonders diesen letzten Ratschlag verstand er überaus
appetitreizend zu geben. Das war etwa alles.
Nun ist aber höchste Zeit, dass ich aufhöre, etwa 5 mal
bin ich schon unterbrochen worden und immer drohender.
War auch jenes bisher nur angedeutete Fräulein Schwabe im Heim? Was
die mit dem Heim für Dich verbundenen notwendigen wie die auch nur
wünschenswerten Ausgaben anlangt, so läßt Du mich sie doch
meiner Bitte gemäß tragen? Die Memoiren übrigens habe ich
vor kurzem auch Max geschenkt und schenke sie nächstens Ottla, schenke
sie nach rechts und links. Sie sind, soweit meine Kenntnis reicht, der
zeitlich nächstliegendste und sowohl sachlichste als lebendigste Zuspruch.
Herzlichste Grüße Franz
Memoiren: Memoiren einer Sozialistin. Vgl.
Anm. S. 638.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at