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An Felice Bauer

11. Sept. 16
 


Liebste, noch sehr früh, Arbeit wartet, Chef wartet, ein wieder einmal schlecht ausgeschlafener Kopf will vielleicht lieber an der Stuhllehne liegen, aber doch sitze ich hier an der Schreibmaschine für Dich. Es scheint mir nämlich, dass ich die Freude, die mir Dein Brief macht, nur auf größtem Raume ausdrücken kann, mit Freiheit für alle Ellenbogen. Daß Ihr endlich zusammengekommen seid, Du und das Heim, ist natürlich das Wichtigste, alles andere wird, als die gute und allerbeste Sache, die es ist, sich von selbst ergeben. Deiner Beurteilung des Äußerlichen stimme ich, soweit das von der Ferne erlaubt ist, im Lob wie im Tadel vollständig zu (das Klavier will ich allerdings nicht als Muster für unsere Wohnungseinrichtung anerkennen), aber das alles ist ja nur ein Vorher und Nebenbei: Die Hauptsache sind die Menschen, nur sie, die Menschen. Darüber möchte ich noch sehr gern etwas hören. Über Dr. Lehmann und doch auch über seinen Vortrag paar Worte. Was bedeutet z. B. der Widerspruch, der darin liegt, dass Du sagst, das Gehörte hätte Dich weniger überrascht (das soll doch wohl etwas abfällig klingen) und dass Du dann wieder sagst, dass Du den Ideen des Vortrags seit langer Zeit fremd gegenüberstehst (das will doch eigentlich eher ein Zuviel an Überraschung als ein Zuwenig ausdrücken). Übrigens scheinst Du insofern hinsichtlich des Vortrags ein besonderes Glück gehabt zu haben, als er die Kernfrage behandelt hat, die meiner Meinung nach nie ruhen wird, immer wieder aufleben, immer wieder den Boden des Zionismus in Unruhe bringen muß. Aber gerade die Arbeit, um die es sich hier zuerst, auch für Dich handelt, ist noch verhältnismäßig am besten vor den Störungen jener Unruhe geschützt und vielleicht- zuviel vielleicht, das Wort will gar nicht aus mir heraus. Jedenfalls genügt für die Arbeit, die dort zunächst zu tun ist, schon ein Hauch der Geistesverfassung, die etwa in den Memoiren wirkt, die ich Dir einmal geschickt habe und die ich Dir wieder und immerfort ans Herz legen möchte. Also von den Menschen möchte ich noch etwas hören, die dort waren, auch von den Mädchen, die ich Deiner Meinung nach so schön gefunden hätte. Waren auch Pfleglinge des Heims dabei? Gab es eine Debatte, in deren Ablauf man irgendwelchen Menschen auf die Spur kam? Sehr gut, dass auch Frl. Bloch dabei war. Was sagte sie dazu? Das freut so besonders mich an dem Ganzen, dass ich irgendwie atmungsweise (es ist sehr unvorsichtig von mir, dass ich es Dir sage, aber es ist sowohl die Sache zu wichtig, als auch wir einander zu nahe, als dass Vorsichtigkeit zwischen uns und hier noch Platz hätte) also dass ich irgendwie zu erkennen glaube, dass Du hier in dem, was sich da vor Dir aufmacht, sehen mußt, dass Du zum Teil (nur zum Teil, vollständig verleugnen kann sich niemand, der Meinung mußt Du ja auch über mich sein, wenn Du zu mir hältst) bisher vom eigentlich Wichtigen, das das Beste Deiner Kraft aufzurühren imstande war, abgelenkt gewesen bist, dass das Geschäft, die Familie, die Literatur, das Theater, ihrem Wesen nach nur Teile jenes Besten in Anspruch nehmen konnten, dass jedoch hier vielleicht die eigentliche Anknüpfung liegt, die wiederum auch im Besten allen andern, der Familie u.s.w. zugute kommen wird. Ich habe hiebei absichtlich das, was uns zwei und unsere Verbindung betrifft, nicht berührt, das wollen wir schweigend halten. Aber wenn wirklich irgendein Abglanz jenes Gedankens, nicht gleich von dem einen zufälligen Abend, aber von dem Ganzen und von seinen Möglichkeiten auf Dich (und um auch Deine bisherige Umgebung damit zu erfüllen, auch auf Frl. Bloch) gefallen wäre, dann wäre ich sehr glücklich.

Was meine Kopfschmerzen betrifft, so sind sie in letzter Zeit im allgemeinen wechselnd und daher auch im Durchschnitt zu ertragen, so schlimm sie auch an einzelnen märtyrerhaften Tagen sind. Der Arzt, bei dem ich war und der mich so genau als im allgemeinen Ärzte untersuchen können, untersucht hat, war mir sehr angenehm. Ein ruhiger, etwas komischer aber durch Alter, Körpermasse (wie Du zu einem so mageren, langen Ding wie ich es bin Vertrauen bekommen konntest, wird mir immer unbegreiflich bleiben) also durch Körpermasse, (dicke Lippen, breit mahlende Zunge) durch nicht allzu große, aber auch gar nicht gespielte Teilnahme, durch medizinische Bescheidenheit und noch durch anderes vertrauenerweckender Mann. Er erklärte, nichts anderes vorzufinden als eine allerdings außerordentliche Nervosität. Seine Ratschläge waren nun allerdings sehr komisch: Wenig rauchen, wenig trinken (gelegentlich aber doch) mehr Gemüse als Fleisch, am Abend lieber kein Fleisch, ein wenig auf die Schwimmschule gehen u.s.f. und am Abend mich ruhig niederzulegen und zu schlafen. Besonders diesen letzten Ratschlag verstand er überaus appetitreizend zu geben. Das war etwa alles.

Nun ist aber höchste Zeit, dass ich aufhöre, etwa 5 mal bin ich schon unterbrochen worden und immer drohender.

War auch jenes bisher nur angedeutete Fräulein Schwabe im Heim? Was die mit dem Heim für Dich verbundenen notwendigen wie die auch nur wünschenswerten Ausgaben anlangt, so läßt Du mich sie doch meiner Bitte gemäß tragen? Die Memoiren übrigens habe ich vor kurzem auch Max geschenkt und schenke sie nächstens Ottla, schenke sie nach rechts und links. Sie sind, soweit meine Kenntnis reicht, der zeitlich nächstliegendste und sowohl sachlichste als lebendigste Zuspruch.

Herzlichste Grüße Franz




Memoiren: Memoiren einer Sozialistin. Vgl. Anm. S. 638.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at