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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 1. September 16
 


Liebste - noch immer freue ich mich mit dem gestrigen Brief, es waren besonders zwei Dinge drin: gute Beobachtung und Respekt vor Menschen. Schreib mir noch ein wenig über den Nachmittag, besonders auch über das, was Du gesehen hast. Er [Friedrich Feigl] hat doch so eine große Arbeit vor, Zeichnungen zu den Hauptwerken Dostojewskis für den Verlag Müller. Hat er etwas davon gezeigt? Die Depression, von der Du schreibst, hatte das Ehepaar gerade auch, als ich zuletzt mit ihnen sprach. Diesmal war sie allerdings begründet, wie mir heute der Bruder Feigls, der mich im Bureau besucht hat, erzählte. - Fräulein Gretes Leid geht mir sehr zu Herzen; jetzt verläßt Du sie gewiß nicht, wie Du es früher manchmal (ich verstehe es ja am besten; man wird manchmal, während man mit aller Kraft irgendwo hinein will, am Kragen geradewegs hinausgeführt) scheinbar unbegreiflich getan hast. Wenn Du ihr Gutes tust, vertrittst Du auch mich. - Nach 3 Tagen außerordentlicher Kopfruhe fiebere ich heute, seit gestern schon, von den Fuß- bis zu den Haarspitzen. Ich war übrigens vor etwa 14 Tagen bei einem Arzt, der so gut ist, wie Ärzte sein können. (Meine Verzweiflungsanfälle führen nicht aus dem Fenster, sondern ins Ordinationszimmer.) Ich schreibe darüber noch.

Herzlichste Grüße Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at