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Zwei Postkarten an Felice Bauer


[Stempel: Prag - 20. VIII. 16] 19. August 16
 

Liebste - keine Nachricht, aber die etwas unregelmäßige Verbindung hat den nicht kleinen Vorteil, dass man in solchem Fall nur an Verspätung glauben kann. - Wenn man, um sich im Augenblick zu erhalten immer irgendeine gegenwärtige Freude haben muß, so besteht meine darin, Dich in einem beginnenden Zusammenhang mit dem Jüdischen Volksheim zu wissen. - Zu dem, was Du mir über Deine Mutter geschrieben hast, wollte ich schon längst etwas sagen: Ich verstehe beides, sowohl dass Deine Mutter etwas von Dir wissen will, als auch (das verstehe ich besonders gut, besser als Du), dass Du nichts sagst. Aber dazwischen muß doch ein Ausgleich möglich sein. Gar so viel zu erzählen ist nicht, höchstens gemeinsam zu überdenken. Was unsere Verbindung betrifft, so ist deren Tatsache absolut bestimmt, soweit Menschen bestimmen können; der Zeitpunkt selbst ist nur relativ bestimmt und die Einzelheiten unseres künftigen Lebens müssen wir (unter Ausschluß Prags) der Zukunft überlassen. Das läßt sich wohl auch der Mutter sagen, wenn auch z. B. für mich ein unendlicher Zwang nötig wäre, das zu sagen. Aber Deine Mutter hat doch an unserer Zukunft noch ein anderes Interesse als das allgemein mütterliche, auch das erfordert Aussprache, so nebelhaft auch im Augenblick die Zukunft durcheinandergeht. Ganz unverständlich ist mir dagegen die Forderung der Mutter, dass Du Sonntag mittag zuhause bist. In dieser Weise kann das doch gar nicht gefordert werden, besonders da Du ja abend sehr oft mit der Mutter beisammen bist und es sich doch nur um die paar Sonntage mit schönem Wetter handelt. Gibst Du mir darüber keine befriedigende Antwort, schreibe ich in der Sache Deiner Mutter selbst. Das klingt sehr böse, ist aber das möglichste Gegenteil.

Viele Grüße Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at