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Postkarte an Felice Bauer

[Prag, 1. August [1916]
 


Liebste - vier Tage keine Nachricht, es ist fast ein wenig unheimlich, ein Sonntag liegt dazwischen. Ich habe jetzt ein neues Vergnügen für die freie Zeit: im Gras liegen. Reicht Zeit und Lust nicht hin, vor die Stadt zu gehn (es ist doch sehr schön um Prag, wie es mir Sonntag schien), lege ich mich auf den Spielplätzen nieder, wo arme Leute mit ihren Kindern sitzen. Es ist dort gar nicht zu laut, viel stiller als beim Kreuzbrunn [in Marienbad]. Letzthin lag ich dort fast im Straßengraben (das Gras ist heuer aber auch im Straßengraben hoch und dicht), als ein ziemlich vornehmer Herr, mit dem ich manchmal amtlich zu tun habe, zweispännig zu einem noch vornehmem Fest vorüberfuhr. Ich streckte mich und fühlte die Freuden (allerdings nur die Freuden) des Deklassiertseins. Aber Du? Am Sonntag warst Du so lebendig bei mir und nun ist still.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at