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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 30. Juli [1916]
 


Liebste - ich lese nochmals die gestrige Karte. Was schreibst Du an Dr. Lehmann? Stell Dich ihm jedenfalls zur Verfügung. Die geringe Zeit, die Dir bleibt, kannst Du (Spazieren und Turnen nehme ich aus) nicht besser verwenden als dort, es ist unzähligemal wichtiger als Theater, als Klabund, als Gerson und was es sonst noch gibt. Es ist auch eine der eigennützigsten Angelegenheiten. Man hilft nicht, sondern sucht Hilfe, es ist aus dieser Arbeit mehr Honig zu holen als aus allen Blumen der Marienbader Wälder. Ich weiß nicht, wie Du zu der Meinung kommst, dass nur Studenten in Betracht kommen. Natürlich haben Studenten und Studentinnen als die durchschnittlich selbstlosesten, entschlossensten, unruhigsten, verlangendsten, eifrigsten, unabhängigsten, weitsichtigsten Menschen die Sache angefangen und führen sie, aber jeder Lebende gehört ebensogut dazu.

Viele Grüße Franz




Dr. Lehmann : Dr. Siegfried Lehmann, der im jüdischen Schulwesen, zunächst in Berlin und später in Israel, eine große Rolle spielte. Von ihm erschien Anfang März 1917 der Beitrag "Idee der jüdischen Siedlung und des Volksheims", Jüdische Rundschau XXII, Nr. 9, S. 76f. und Nr. 10, S. 83f.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at