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An Felice Bauer
Liebste Felice! Die Verkühlung als Grund meines Schweigens war nur
eine Abkürzung. Ich war auch verkühlt, lag auch einen Tag im
Bett, ging dann 2 Tage aus, es gefiel mir draußen nicht und ich legte
mich wieder für 2 Tage - aber die Verkühlung war nicht einmal der
Grund meines Zuhausebleibens, ich legte mich aus allgemeiner Verwirrung
und Hilflosigkeit und erhoffte von dieser Veränderung, zu der meine
Kraft gerade noch ausreichte, Erleichterung. Denn ich bin verzweifelt wie
eine eingesperrte Ratte, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen rasen in mir,
ich kann wirklich nicht beschreiben, wie ich meine Tage hinbringe. Meine
einzige Rettungsmöglichkeit, mein erstes Verlangen ist Freiheit vom
Bureau. Es gibt Hindernisse: Fabrik, angebliche Unentbehrlichkeit im Bureau,
in dem jetzt viel zu tun (Nebeneinführung: Amtstunden von 8-2 und
4-6), aber alle Hindernisse dieser Art dürften nichts sein, gegenüber
der Notwendigkeit freizuwerden, gegenüber dieser immer schiefer werdenden
Ebene. Aber meine Kraft genügt nicht, noch kleinere Hindernisse wären
für sie zu groß. Ich habe nicht etwa Angst vor dem Leben außerhalb
des Bureaus, dieses ganze Fieber, das mir den Kopf Tag und Nacht heizt,
stammt von Unfreiheit, aber wenn z. B. mein Chef zu klagen anfängt,
die Abteilung bricht zusammen, wenn ich geh (unsinnige Vorstellung, deren
Lächerlichkeit ich klar durchschaue), er selbst sei krank u.s.f.,
dann kann ich nicht, der in mir großgezogene Beamte kann nicht. Und
wieder weiter diese Nächte, diese Tage.
Wenn Du, Felice, irgendeine Schuld an unserem gemeinsamen Unglück
hast (ich rede jetzt nicht von meiner, die übersteigt alle Berge),
so ist es die, dass Du mich in Prag befestigen wolltest, trotzdem
Du verpflichtet warst einzusehen, dass gerade das Bureau und Prag
mein und damit unser steigendes Verderben bedeutet. Du wolltest mich ja
nicht absichtlich hier festlegen, das glaube ich gar nicht, Deine Vorstellung
der Lebensmöglichkeiten ist furchtloser und beweglicher als meine
(der ich zumindest bis zu den Hüften im österreichischen Beamtentum
und darüber hinaus noch in persönlichen Hemmungen stecke), deshalb
hattest Du auch kein zwingendes Bedürfnis, mit der Zukunft genauer
zu rechnen. Trotzdem wärest Du verpflichtet gewesen, auch das in mir
zu bewerten oder zu ahnen, und zwar selbst gegen mich, selbst gegen meine
Worte. Ich wäre im Grunde keinen Augenblick lang gegen Dich gewesen.
Was geschah statt dessen? Statt dessen gingen wir in Berlin Möbel
für die Prager Einrichtung eines Beamten einkaufen. Schwere Möbel,
die einmal aufgestellt, kaum mehr wegzubringen schienen. Gerade ihre Solidität
schätztest Du am meisten. Die Kredenz bedrückte mir die Brust,
ein vollkommenes Grabdenkmal oder ein Denkmal Prager Beamtenlebens. Wenn
bei der Besichtigung irgendwo in der Ferne des Möbellagers ein Sterbeglöckchen
geläutet hätte, es wäre nicht unpassend gewesen. Mit Dir,
Felice, mit Dir natürlich, aber frei sein, meine Kräfte arbeiten
lassen, die Du nicht achten konntest, wenigstens in meiner Vorstellung
nicht, wenn Du sie mit diesen Möbeln überbautest. Alte Dinge,
verzeih. Aber unendlich besprechenswert, solange sie nicht durch neue bessere
abgelöst sind.
Herzlich Dein Franz
[Vermutlich Nachschrift zu diesem Brief]
Alles, was ich schreibe, sieht so hart aus, ich kann es nicht so weggehn
lassen, denn ich meine es nicht hart, aber ich bin so bis auf den Grund
zerkratzt und wankend, dass ich nicht genau verantwortlich gemacht
werden darf. Ich lese z. B., dass Du verkühlt bist und kann es
lange nicht richtig fassen, so dicht um mich sind die Gespenster, von denen
mich zu befreien das Bureau mich hindert. Tag und Nacht hängen sie
an mir, wäre ich frei, es wäre meine Seligkeit, sie nach meinem
Willen zu jagen, so aber senken sie mich langsam ein. Solange ich nicht
frei bin, will ich mich nicht sehen lassen, will Dich nicht sehn. Wie Du
gänzlich irregehst, Felice, traurig irregehst, wenn Du andere Gründe
suchst.
Das Buch habe ich erst zu lesen angefangen, im allgemeinen halte ich mich
von allem, auch vom Lesen zurück. Es ist äußerst umständlich,
gibt aber immerhin einen charakteristischen Menschen, mit dem ich allerdings
vorläufig nicht viel anzufangen weiß. Übrigens bin ich
kein Kritiker, weiß so schlecht zu zerlegen, mißverstehe so
leicht, lese so oft an Wichtigem vorüber, trage so unsicher den Gesamteindruck.
Hast Du "Tycho Brahe" bekommen, den ich Dir vor langer Zeit
vorn Verlag schicken ließ und den "Jüngsten
Tag - Almanach" den ich Dir eingeschrieben geschickt habe?
[am Rande] Danke für die Ausschnitte. Das Wort Asbest
muß ich buchstabieren, um es lesen zu können, so fremd ist es
mir.
Jüngsten Tag - Almanach :Vom jüngsten
Tag. Ein Almanach neuer Dichtung, Leipzig 1916. Er enthält (S. 126ff.)
einen Abdruck von "Vor dem Gesetz".
Asbest : Kafka war Teilhaber an einer kleinen Asbest-Fabrik
in Prag, an die er nicht gerne erinnert wurde. Vgl. Brief an Felice vom
1. November 1912, S. 68 und Brod, Biographie, S. 112ff.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at