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An Felice Bauer

[Stempel: Prag - 18. I. 16]
 


Liebe Felice, wohl das erstemal seit 10 Tagen, dass ich die Feder in der Hand habe, um etwas für mich zu schreiben. So lebe ich.

Auf den letzten Brief konnte ich nicht gleich antworten. So hatte ich ihn nicht erwartet. Dein Bild im Schnee war anders gewesen. Und trotzdem, ich verstehe es ja, es ist schrecklich. Ich weiß es, aber ich weiß keine Hilfe und ich weiß nicht, wo Du eine Hilfe siehst, die nicht herangezogen wurde. Jetzt ist keine Änderung möglich aber auch später, im günstigsten Fall? Im günstigsten Fall werde ich dann nach Berlin kommen als ein von Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen zerfressener Mensch. (Letzthin hörte ich unversehens eine gute Nachricht, die gar nicht unmittelbar mich betraf, und über die ich mich in frühem Jahren ruhig ein Weilchen gefreut hätte. Jetzt ist aber mein Zustand ein derartiger geworden, dass ich über dieser Nachricht einen Augenblick lang buchstäblich die Besinnung verlor und einen Tag und eine Nacht den Kopf wie von einem dichten Netz dünner einschneidender Stricke umspannt hatte.) Ich werde also nach dem Krieg nach Berlin kommen als ein solcher Mensch, Felice. Meine Aufgabe wird zunächst sein, mich irgendwo in ein Loch zu verkriechen und mich abzuhören. Was wird sich ergeben? Der lebendige Mensch in mir hofft natürlich, das ist nicht erstaunlich. Der urteilende aber nicht. Doch sagt auch der urteilende, dass ich, selbst wenn ich mich dort in dem Loch abtun werde, das Beste getan haben werde, was ich noch konnte. Aber Du, Felice? Erst wenn ich aus dem Loch hervorkomme, irgendwie hervorkomme, habe ich ein Recht auf Dich. Und damit übereinstimmend wirst auch Du erst dann den richtigen Blick für mich haben, denn jetzt bin ich für Dich, aber ganz richtiger Weise, sei es im Askanischen Hof, sei es in Karlsbad, sei es im Tiergarten, ein böses Kind, ein Narr oder sonst etwas, ein böses Kind, zu dem Du unverdienter Weise lieb bist, aber Du sollst es verdienter Weise sein.

Das ist der Ausblick, der sich dem heißen Kopfe zeigt. Stellt man sich auf die Fußspitzen, kann er schön sein; da man das aber nicht aushält, ist er trostlos, das leugne ich nicht.

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Von Deiner Schwester bekam ich gestern einen liebenswürdigen Brief, der mich sehr beschämt, denn ich habe doch an der Sendung für Muzzi nicht das geringste Verdienst, nur die mittelmäßige Auswahl stammt von mir. (Mit den 20 M sind natürlich beide Pakete überreichlich bezahlt.) Auch ein hübsches Bild von Muzzi lag bei. Eine etwas phantastische Aufnahme. Muzzi mit einer Palette vor einem Bild (Storch mit Kind). Was für ein kluges, hübsches, gut gebautes Kind das ist. Ich habe viel zu wenig und viel zu schlechte Sachen geschickt - fiel mir vor dem Bild ein.

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In Deinem letzten Briefe heißt es, dass ein Bild beigelegt ist. Es lag nicht bei. Das bedeutet eine Entbehrung für mich.

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Du klagst, dass ich wenig schreibe. Was soll ich nach dem Obigen schreiben? Ist nicht jedes Wort für den Schreiber und den Leser ein Zerren an den Nerven, die doch Ruhe oder vielmehr Arbeit, aber andere Arbeit brauchen. Glückbringendere Arbeit. Jetzt, da ich den Brief überlege, ist es, als hätte ich ihn sorgfältig zusammengestellt, um zu quälen. Und das wollte ich doch nicht, wollte alles andere.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at