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An Felice Bauer
Liebe Felice, wohl das erstemal seit 10 Tagen, dass ich die Feder
in der Hand habe, um etwas für mich zu schreiben. So lebe ich.
Auf den letzten Brief konnte ich nicht gleich antworten. So hatte ich ihn
nicht erwartet. Dein Bild im Schnee war anders gewesen. Und trotzdem, ich
verstehe es ja, es ist schrecklich. Ich weiß es, aber ich weiß
keine Hilfe und ich weiß nicht, wo Du eine Hilfe siehst, die nicht
herangezogen wurde. Jetzt ist keine Änderung möglich aber auch
später, im günstigsten Fall? Im günstigsten Fall werde ich
dann nach Berlin kommen als ein von Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen zerfressener
Mensch. (Letzthin hörte ich unversehens eine gute Nachricht, die gar
nicht unmittelbar mich betraf, und über die ich mich in frühem
Jahren ruhig ein Weilchen gefreut hätte. Jetzt ist aber mein Zustand
ein derartiger geworden, dass ich über dieser Nachricht einen
Augenblick lang buchstäblich die Besinnung verlor und einen Tag und
eine Nacht den Kopf wie von einem dichten Netz dünner einschneidender
Stricke umspannt hatte.) Ich werde also nach dem Krieg nach Berlin kommen
als ein solcher Mensch, Felice. Meine Aufgabe wird zunächst sein,
mich irgendwo in ein Loch zu verkriechen und mich abzuhören. Was wird
sich ergeben? Der lebendige Mensch in mir hofft natürlich, das ist
nicht erstaunlich. Der urteilende aber nicht. Doch sagt auch der urteilende,
dass ich, selbst wenn ich mich dort in dem Loch abtun werde, das Beste
getan haben werde, was ich noch konnte. Aber Du, Felice? Erst wenn ich
aus dem Loch hervorkomme, irgendwie hervorkomme, habe ich ein Recht auf
Dich. Und damit übereinstimmend wirst auch Du erst dann den richtigen
Blick für mich haben, denn jetzt bin ich für Dich, aber ganz
richtiger Weise, sei es im Askanischen Hof, sei es in Karlsbad, sei es
im Tiergarten, ein böses Kind, ein Narr oder sonst etwas, ein böses
Kind, zu dem Du unverdienter Weise lieb bist, aber Du sollst es verdienter
Weise sein.
Das ist der Ausblick, der sich dem heißen Kopfe zeigt. Stellt man
sich auf die Fußspitzen, kann er schön sein; da man das aber
nicht aushält, ist er trostlos, das leugne ich nicht.
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Von Deiner Schwester bekam ich gestern einen liebenswürdigen Brief,
der mich sehr beschämt, denn ich habe doch an der Sendung für
Muzzi nicht das geringste Verdienst, nur die mittelmäßige Auswahl
stammt von mir. (Mit den 20 M sind natürlich beide Pakete überreichlich
bezahlt.) Auch ein hübsches Bild von Muzzi lag bei. Eine etwas phantastische
Aufnahme. Muzzi mit einer Palette vor einem Bild (Storch mit Kind). Was
für ein kluges, hübsches, gut gebautes Kind das ist. Ich habe
viel zu wenig und viel zu schlechte Sachen geschickt - fiel mir vor dem
Bild ein.
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In Deinem letzten Briefe heißt es, dass ein Bild beigelegt ist.
Es lag nicht bei. Das bedeutet eine Entbehrung für mich.
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Du klagst, dass ich wenig schreibe. Was soll ich nach dem Obigen schreiben?
Ist nicht jedes Wort für den Schreiber und den Leser ein Zerren an
den Nerven, die doch Ruhe oder vielmehr Arbeit, aber andere Arbeit brauchen.
Glückbringendere Arbeit. Jetzt, da ich den Brief überlege, ist
es, als hätte ich ihn sorgfältig zusammengestellt, um zu quälen.
Und das wollte ich doch nicht, wollte alles andere.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at