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[Tagebuch, 5. November 1915; Freitag]

5. (November 1915) Aufregungszustand nachmittag. Begann mit der Überlegung ob und wieviel Kriegsanleihe ich mir kaufen sollte. Gieng zweimal zum Geschäft hin, um den nötigen Auftrag zu geben und zweimal zurück, ohne eingetreten zu sein. Berechnete fieberhaft die Zinsen. Bat dann die Mutter 1000 K-Anleihe zu kaufen, erhöhte aber den Betrag auf 2000 K. Es zeigte sich dabei, dass ich von einer etwa 3000 K betragenden Einlage, die mir gehörte gar nicht gewußt hatte und dass es mich fast gar nicht berührte als ich davon erfuhr. Nur die Zweifel wegen der Krieganleihe lagen mir im Kopf und hörten nun etwa 1/2 Stunde lang auf einem Spaziergang durch die belebtesten Gassen nicht auf. Ich fühlte mich unmittelbar am Krieg beteiligt, erwog, allerdings meinen Kenntnissen entsprechend, ganz allgemein die finanziellen Aussichten, steigerte und verringerte die Zinsen, die mir einmal zur Verfügung stehen würden u. s. f. Allmäh lich verwandelte sich aber diese Aufregung, die Gedanken wurden auf das Schreiben hingelenkt, ich fühlte mich dazu fähig, wollte nichts anderes als die Möglichkeit des Schreibens haben, überlegte, welche Nächte ich in der nächsten Zeit dafür bestimmen könnte, lief unter Herzschmerzen über die steinerne Brücke, fühlte das schon so oft erfahrene Unglück des verzehrenden Feuers das nicht ausbrechen darf, erfand um mich auszudrücken und zu beruhigen den Spruch "Freundchen ergieße Dich", sang ihn unaufhörlich nach einer besondern Melodie und begleitete den Gesang, indem ich ein Taschentuch in der Tasche wie einen Dudelsack immer wieder drückte und losließ.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at