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Kurt Wolff Verlag (G. H. Meyer) an Franz Kafka
Sehr verehrter Herr Franz Kafka!
Ich höre, dass Sie in Prag sind, aber da ich Ihre Adresse nicht
weiß, so adressiere ich den Brief ebenso wie die Belegexemplare
der Weißen Blätter an Herrn Dr. Max Brod.
1.) Es scheint, dass Sie selbst gar keine Korrektur von der "Verwandlung"
gesehen haben. Wenn das der Fall ist, so trifft die Schuld Herrn Schickele.
Hier in Leipzig habe ich mit den Redaktionsarbeiten der Weißen Blätter
überhaupt nichts zu tun. Sollte Herr Schickele versäumt haben,
Ihnen die Korrektur zu senden, so wollen Sie das mit dem gegenwärtigen
unsinnigen Zustand entschuldigen. Ganz besonders wollen Sie aber auch berücksichtigen,
dass Schickele selbst leidend ist und im Auslande
lebt, allem Anschein nach mit häufig wechselndem Domizil.
2.) Ich möchte Ihnen vorschlagen, die "Verwandlung" dann
auch im "Jüngsten Tag" erscheinen zu lassen. In der Ausstattung
von Sternheims "Napoleon", den ich Ihnen gleichzeitig übersende,
erscheint eine Reihe moderner Erzähler: Sternheim,
Schickele, Edschmid; dazu würden Sie ganz ausgezeichnet passen. Das
Bändchen könnte gleich gedruckt werden und im nächsten Monat
noch erscheinen. Daß ein Buch von Ihnen herauskommt, ist aus dem
folgenden Grunde wünschenswert:
Es gelangt demnächst der Fontane-Preis für
den besten modernen Erzähler zur Verteilung. Den Preis soll in diesem
Jahre, wie wir vertraulich erfahren haben, Sternheim für seine drei
Erzählungen: "Busekow", "Napoleon" und "Schuhlin"
bekommen. Da aber, wie Ihnen wohl bekannt ist, Sternheim Millionär
ist und man einem Millionär nicht gut einen Geldpreis geben kann,
so hat Franz Blei, der den Fontane-Preis heuer zu vergeben hat, Sternheim
bestimmt, dass er die ganze Summe von ich glaube 800 Mk. Ihnen als
dem Würdigsten zukommen läßt. Sternheim hat Ihre Sachen
gelesen und ist, wie Sie aus der anliegenden Karte ersehen, ehrlich für
Sie begeistert.
Sie hätten dann also für die "Verwandlung" zu erwarten:
1) das Honorar der Weißen Blätter (ich weiß nicht, ob
und was Schickele mit Ihnen darüber ausgemacht hat), 2) das Honorar
für den "Jüngsten Tag", das für eine kleine
Auflage einmalig 350 Mk. betragen mag - der Höchstsatz, der für
den "Jüngsten Tag" je gezahlt ist, und sodann 800 Mk.
als Betrag des Fontanepreises. Sie sind also der reine Hans im Glück!
Durch den Fontane-Preis wird die allgemeine Aufmerksamkeit sicher auf Sie
gelenkt werden, und aus diesem Anlaß würde ich empfehlen, dass
wir zu "Betrachtung" einen neuen Titel drucken, da die Exemplare
bislang noch die Firma Ernst Rowohlt tragen, und wir das Buch als 2. Ausgabe
nochmals neu verschicken. Den Preis würden wir dann analog der Werfel-
und Tagore-Preise auf M. 2,50 geheftet, M. 3,50 in Pappband und M. 4,50
in Halbleder gebunden festsetzen. Wiewohl es mir entsetzlich schwer wird,
will ich versuchen, Herrn Dr. Max Brod zur Feier am Mittwoch nachmittag
nach Prag zu kommen, und ich hoffe, dann auch Sie begrüßen zu
können, damit wir die ganze Angelegenheit noch einmal mündlich
durchsprechen.
Mit allen guten Grüßen und Empfehlungen bin und bleibe ich Ihr
Ihnen ganz ergebener
[G. H. Meyer]
Belegexemplare der Weißen Blätter: Der
Vorabdruck der "Verwandlung" erschien 1915 im Oktoberheft der
"Weißen Blätter".
Schickele: Rená Schickele (1883-1940) hatte
nach E.E.Schwabach die Herausgeberschaft der "Weißen Blätter"
übernommen. Unter seiner Leitung erschien die Zeitschrift vom Jg.2
(Januar 1915) an.
Auslande: Schickele lebte während des Krieges
in der Schweiz. Sternheims "Napoleon": Novelle. Jüngster
Tag Bd. 19, KWV 1915.
Reihe moderner Erzähler: Nach Sternheims "Napoleon"
folgten im Jüngsten Tag noch 1915 Bd.20 Kasimir Edschmid, "Das
rasende Leben"; Bd.21 Carl Sternheim, "Schuhlin"; Bd.22/23
Franz Kafka, "Die Verwandlung"; Bd.24 Rene Schickele, "Risse".
Fontane-Preis: Berliner Preis für den besten
Roman.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at