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Kurt Wolff Verlag (G. H. Meyer) an Franz Kafka


11. Oktober [191] 5.
 

Sehr verehrter Herr Franz Kafka!

Ich höre, dass Sie in Prag sind, aber da ich Ihre Adresse nicht weiß, so adressiere ich den Brief ebenso wie die Belegexemplare der Weißen Blätter an Herrn Dr. Max Brod.

1.) Es scheint, dass Sie selbst gar keine Korrektur von der "Verwandlung" gesehen haben. Wenn das der Fall ist, so trifft die Schuld Herrn Schickele. Hier in Leipzig habe ich mit den Redaktionsarbeiten der Weißen Blätter überhaupt nichts zu tun. Sollte Herr Schickele versäumt haben, Ihnen die Korrektur zu senden, so wollen Sie das mit dem gegenwärtigen unsinnigen Zustand entschuldigen. Ganz besonders wollen Sie aber auch berücksichtigen, dass Schickele selbst leidend ist und im Auslande lebt, allem Anschein nach mit häufig wechselndem Domizil.

2.) Ich möchte Ihnen vorschlagen, die "Verwandlung" dann auch im "Jüngsten Tag" erscheinen zu lassen. In der Ausstattung von Sternheims "Napoleon", den ich Ihnen gleichzeitig übersende, erscheint eine Reihe moderner Erzähler: Sternheim, Schickele, Edschmid; dazu würden Sie ganz ausgezeichnet passen. Das Bändchen könnte gleich gedruckt werden und im nächsten Monat noch erscheinen. Daß ein Buch von Ihnen herauskommt, ist aus dem folgenden Grunde wünschenswert:

Es gelangt demnächst der Fontane-Preis für den besten modernen Erzähler zur Verteilung. Den Preis soll in diesem Jahre, wie wir vertraulich erfahren haben, Sternheim für seine drei Erzählungen: "Busekow", "Napoleon" und "Schuhlin" bekommen. Da aber, wie Ihnen wohl bekannt ist, Sternheim Millionär ist und man einem Millionär nicht gut einen Geldpreis geben kann, so hat Franz Blei, der den Fontane-Preis heuer zu vergeben hat, Sternheim bestimmt, dass er die ganze Summe von ich glaube 800 Mk. Ihnen als dem Würdigsten zukommen läßt. Sternheim hat Ihre Sachen gelesen und ist, wie Sie aus der anliegenden Karte ersehen, ehrlich für Sie begeistert.

Sie hätten dann also für die "Verwandlung" zu erwarten: 1) das Honorar der Weißen Blätter (ich weiß nicht, ob und was Schickele mit Ihnen darüber ausgemacht hat), 2) das Honorar für den "Jüngsten Tag", das für eine kleine Auflage einmalig 350 Mk. betragen mag - der Höchstsatz, der für den "Jüngsten Tag" je gezahlt ist, und sodann 800 Mk. als Betrag des Fontanepreises. Sie sind also der reine Hans im Glück!

Durch den Fontane-Preis wird die allgemeine Aufmerksamkeit sicher auf Sie gelenkt werden, und aus diesem Anlaß würde ich empfehlen, dass wir zu "Betrachtung" einen neuen Titel drucken, da die Exemplare bislang noch die Firma Ernst Rowohlt tragen, und wir das Buch als 2. Ausgabe nochmals neu verschicken. Den Preis würden wir dann analog der Werfel- und Tagore-Preise auf M. 2,50 geheftet, M. 3,50 in Pappband und M. 4,50 in Halbleder gebunden festsetzen. Wiewohl es mir entsetzlich schwer wird, will ich versuchen, Herrn Dr. Max Brod zur Feier am Mittwoch nachmittag nach Prag zu kommen, und ich hoffe, dann auch Sie begrüßen zu können, damit wir die ganze Angelegenheit noch einmal mündlich durchsprechen.

Mit allen guten Grüßen und Empfehlungen bin und bleibe ich Ihr Ihnen ganz ergebener


[G. H. Meyer]




Belegexemplare der Weißen Blätter: Der Vorabdruck der "Verwandlung" erschien 1915 im Oktoberheft der "Weißen Blätter".


Schickele: Rená Schickele (1883-1940) hatte nach E.E.Schwabach die Herausgeberschaft der "Weißen Blätter" übernommen. Unter seiner Leitung erschien die Zeitschrift vom Jg.2 (Januar 1915) an.


Auslande: Schickele lebte während des Krieges in der Schweiz. Sternheims "Napoleon": Novelle. Jüngster Tag Bd. 19, KWV 1915.


Reihe moderner Erzähler: Nach Sternheims "Napoleon" folgten im Jüngsten Tag noch 1915 Bd.20 Kasimir Edschmid, "Das rasende Leben"; Bd.21 Carl Sternheim, "Schuhlin"; Bd.22/23 Franz Kafka, "Die Verwandlung"; Bd.24 Rene Schickele, "Risse".


Fontane-Preis: Berliner Preis für den besten Roman.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at