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Postkarte an Felice bauer
Liebe Felice, Du hast letzthin einige phantastische Fragen über den
Bräutigam von F. an mich gestellt. Ich kann sie jetzt besser beantworten,
denn ich habe ihn auf der Rückfahrt im Zug beobachtet.
Das war leicht möglich, denn es war ein solches Gedränge, dass
wir zwei förmlich auf einem Platze saßen. Nach meiner Meinung
also ist er ganz an F. verloren, Du hättest ihn sehen sollen, wie
er die lange Fahrt über im Flieder (niemals sonst nimmt er etwas Derartiges
auf eine Fahrt mit) die Erinnerung an F. und an ihr Zimmer suchte. Zu seiner
andern Seite saß der alte Herr W. und recitierte
Heinesche Gedichte. Aber seinem Zuhörer gefällt zwar Herr W.,
aber Heinesche Gedichte nicht. Nur eine kleine Zeile gefällt ihm,
aber die ist vielleicht gar nicht von Heine. Sie steht als Motto, ich glaube,
mehrmals in Heines Schriften: "Sie war liebenswürdig und er
liebte sie. Er aber war nicht liebenswürdig und sie liebte ihn nicht.
(Altes Stück)" Aber ich wollte nicht von Heine schreiben, sondern Dir
verschiedene Auskunft geben, die Du zu wünschen scheinst. Nächstens.
Ich glaube, der Betreffende hat mehr Vertrauen zu mir als zu F.
[am Rande] Einen Kuß auf die breite weiche Hand im dünnen Handschuh.
Rückfahrt: Kafkas Rückreise nach Prag
von dem gemeinsamen Ausflug in die Böhmische Schweiz während
der Pfingstfeiertage (23. und 24. Mai).
Herr W.: Vermutlich der Vater seines Freundes Felix
Weltsch.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at