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[Tagebuch, 20. Dezember 1914; Sonntag]

20. (Dezember 1914) Maxens Einwand gegen Dostojewski, dass er zuviel geistig Kranke auftreten läßt. Vollständig unrichtig. Es sind nicht geistig Kranke. Die Krankheitsbezeichnung ist nichts als ein Charakterisierungsmittel und zwar ein sehr zartes und sehr ergiebiges. Man muß z. B. einer Person nur immer mit größter Hartnäckigkeit nachsagen, dass sie einfältig und idiotisch ist und sie wird wenn sie Dostojewskischen Kern in sich hat förmlich zu ihren Höchstleistungen aufgestachelt. Seine Charakterisierungen haben in dieser Hinsicht etwa die Bedeutung, wie Schimpfworte unter Freunden. Sagen sie einander Du bist ein Dummkopf so meinen sie nicht, dass der andere ein wirklicher Dummkopf ist und sie sich durch diese Freundschaft entwürdigt haben, sondern es liegt darin meistens, wenn es nicht bloß Scherz ist, aber selbst dann, eine unendliche Mischung von Absichten. So ist z. B. der Karamasov'sche Vater durchaus kein Narr, sondern ein sehr kluger, fast Iwan ebenbürtiger, allerdings böser Mann und viel klüger jedenfalls als beispielsweise sein vom Erzähler unangefochtener Vetter oder Neffe, der Gutsbesitzer, der sich ihm gegenüber so erhaben fühlt.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at