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[Tagebuch, 13. Dezember 1914; Sonntag]

13 XII 14 Statt zu arbeiten - ich habe nur eine Seite geschrieben (Exegese der Legende) - in fertigen Kapiteln gelesen und sie zum Teil gut gefunden. Immer im Bewußtsein, dass jedes Zufriedenheits- und Glücksgefühl, wie ich es z. B. besonders der Legende gegenüber habe, bezahlt werden muß undzwar um niemals Erholung zu gönnen im Nachhinein bezahlt werden muß.

Letzthin bei Felix. Eindruck eines großen Unglücks. Wie er sich fiebernd, mit trocken an einander sich reibenden Lippen in die Pölster vergräbt. Das was ich an der Frau schwer tragen würde scheint er verhältnismäßig leicht zu tragen, aber anderes schwer. Auf dem Nachhauseweg sagte ich Max, dass ich auf dem Sterbebett vorausgesetzt dass die Schmerzen nicht zu groß sind, sehr zufrieden sein werde. Ich vergaß hinzuzufügen und habe es später mit Absicht unterlassen, dass das Beste was ich geschrieben habe, in dieser Fähigkeit zufrieden sterben zu können, seinen Grund hat. An allen diesen guten und stark überzeugenden Stellen handelt es sich immer darum, dass jemand stirbt, dass es ihm sehr schwer wird, dass darin für ihn ein Unrecht und wenigstens eine Härte liegt und dass das für den Leser wenigstens meiner Meinung nach rührend wird. Für mich aber, der ich glaube auf dem Sterbebett zufrieden sein zu können, sind solche Schilderungen im geheimen ein Spiel, ich freue mich ja in dem Sterbenden zu sterben, nütze daher mit Berechnung die auf den Tod gesammelte Aufmerksamkeit des Lesers aus, bin bei viel klarerem Verstande als er, von dem ich annehme, dass er auf dem Sterbebett klagen wird, und meine Klage ist daher möglichst vollkommen, bricht auch nicht etwa plötzlich ab wie wirkliche Klage, sondern verläuft schön und rein. Es ist so, wie ich der Mutter gegenüber immer über Leiden mich beklagte, die beiweitem nicht so groß waren wie die Klage glauben ließ. Gegenüber der Mutter brauchte ich allerdings nicht soviel Kunstaufwand wie gegenüber dem Leser.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at