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[Tagebuch, 15. August 1914; Samstag]

15. (August 1914) Ich schreibe seit paar Tagen, möchte es sich halten. So ganz geschützt und in die Arbeit eingekrochen, wie ich es vor 2 Jahren war, bin ich heute nicht, immerhin habe ich doch einen Sinn bekommen, mein regelmäßiges, leeres, irrsinniges junggesellenmäßiges Leben hat eine Rechtfertigung. Ich kann wieder ein Zwiegespräch mit mir führen und starre nicht so in vollständige Leere. Nur auf diesem Wege gibt es für mich eine Besserung.

Eine Zeit meines Lebens - es ist nun schon viele Jahre her - hat ich eine Anstellung bei einer kleinen Bahn im Innern Rußlands. So verlassen wie dort bin ich niemals gewesen. Aus verschiedenen Gründen, die nicht hierhergehören, suchte ich damals einen solchen Ort, jemehr Einsamkeit mir um die Ohren schlug, desto lieber war ich und ich will also auch jetzt nicht darüber klagen. Nur Beschäftigung fehlte mir in der ersten Zeit. Die kleine Bahn war ursprünglich vielleicht aus irgendwelchen wirtschaftlichen Absichten angelegt worden, das Kapital hatte aber nicht ausgereicht, der Bau kam ins Stocken und statt nach Kalda dem nächsten von uns 5 Tagereisen mit dem Wagen entfernten größern Ort zu führen machte die Bahn bei einer kleinen Ansiedlung geradezu in einer Einöde halt, von wo noch eine ganze Tagereise nach Kalda nötig war. Nun hätte die Bahn selbst wenn sie bis Kalda ausgedehnt worden wäre noch für unabsehbare Zeiten unrentabel bleiben, denn ihr ganzer Plan war verfehlt, das Land brauchte Straßen aber keine Eisenbahnen, in dem Zustand jedoch in dem sich die Bahn jetzt befand, konnte sie überhaupt nicht bestehn, die zwei Züge die täglich verkehrten, führten Lasten mit sich, die ein leichter Wagen hätte transportieren können, und Passagiere waren nur ein paar Feldarbeiter im Sommer. Aber man wollte die Bahn doch nicht gänzlich eingehn lassen, denn man hoffte immer noch, dadurch dass man sie im Betrieb erhielt, für den weitern Ausbau Kapital anzulocken. Auch diese Hoffnung war meiner Meinung nach nicht sosehr Hoffnung, als vielmehr Verzweiflung und Faulheit. Man ließ die Bahn laufen, solange noch Material und Kohle vorhanden waren, man zahlte den paar Arbeitern die Löhne unregelmäßig und verkürzt, als wären es Gnadengeschenke und wartete im übrigen auf den Zusammenbruch des Ganzen.

Bei dieser Bahn also war ich angestellt und bewohnte einen Holzverschlag, der noch seit dem Bau der Bahn dort zurückgeblieben war und gleichzeitig als Stationsgebäude diente. Es hatte nur einen Raum, in dem eine Pritsche für mich aufgestellt war und ein Pult für mögliche Schreibarbeiten, über ihm war der telegraphische Apparat angebracht. Als ich im Frühjahr hinkam, passierte der eine Zug die Station sehr früh - später wurde das geändert - und es geschah manchmal, dass irgendein Passagier zur Station kam während ich noch schlief. Er blieb dann natürlich - die Nächte waren dort bis in die Mitte des Sommers hinein sehr kühl - nicht im Freien, sondern klopfte an, ich riegelte auf und wir verbrachten dann oft ganze Stunden mit Plaudern. Ich lag auf meiner Pritsche, mein Gast hockte auf dem Boden oder kochte nach meiner Anweisung Tee, den wir dann beide in gutem Einverständnis tranken. Alle diese Dorfleute zeichnet große Verträglichkeit aus. Ich merkte übrigens dass ich nicht sehr dazu angetan war, vollständige Einsamkeit zu ertragen, wenn ich mir auch sagen mußte, dass diese Einsamkeit die ich mir auferlegt hatte, schon nach kurzer Zeit die vergangenen Sorgen zu zerstreuenbegann. Ich habe überhaupt gefunden, dass es eine große Kraftprobe für ein Unglück ist, einen Menschen in der Einsamkeit dauernd zu beherrschen. Die Einsamkeit ist mächtiger als alles und treibt einen wieder den Menschen zu. Natürlich versucht man dann andere, scheinbar weniger schmerzliche, in Wirklichkeit bloß noch unbekannte Wege zu finden.

Ich schloß mich den Leuten dort mehr an, als ich gedacht hatte. Ein regelmäßiger Verkehr war es natürlich nicht. Von den fünf Dörfern, die für mich in Betracht kamen, war jedes einige Stunden sowohl von der Station, als auch von den andern Dörfern entfernt. Allzuweit mich von der Station zu entfernen durfte ich nicht wagen, wenn ich nicht meinen Posten verlieren wollte. Und das wollte ich wenigstens in der ersten Zeit durchaus nicht. In die Dörfer selbst konnte ich also nicht gehn und blieb auf die Passagiere angewiesen oder auf die Leute, welche den weiten Weg nicht scheuten um mir einen Besuch zu machen. Schon im ersten Monat fanden sich solche Leute ein, aber wie freundlich sie auch waren, es war leicht zu erkennen, dass sie nur kamen, um vielleicht ein Geschäft mit mir zu machen; sie verbargen übrigens auch ihre Absicht gar nicht. Sie brachten verschiedene Waren und ich kaufte zuerst, solange ich Geld hatte, gewöhnlich fast unbesehen alles ein, so willkommen waren mir die Leute, besonders einzelne. Später schränkte ich die Einkäufe allerdings ein, unter anderem auch deshalb, weil ich zu bemerken glaubte, dass meine Art einzukaufen ihnen verächtlich erschien. Außerdem bekam ich auch Lebensmittel mit der Bahn, die waren allerdings ganz schlecht und noch viel teuerer, als das was die Bauern brachten. Ursprünglich hatte ich ja beabsichtigt, einen kleinen Gemüsegarten anzulegen, eine Kuh zu kaufen und mich auf diese Weise möglichst unabhängig von allen zu machen. Ich hatte auch Gartengeräte und Aussaat mitgebracht, Boden war überreichlich da, unbebaut dehnte er sich in einer einzigen Fläche um meine Hütte ohne die geringste Erhöhung soweit das Auge reichte. Aber ich war zu schwach um diesen Boden zu bezwingen. Ein widerspenstiger Boden, der bis ins Frühjahr festgefroren war und selbst meiner neuen scharfen Hacke widerstand. Was man an Aussaat in ihn senkte war verloren. Ich bekam Verzweiflungsanfälle bei dieser Arbeit. Ich lag dann tagelang auf meiner Pritsche und kam nicht einmal bei Ankunft der Züge hinaus. Ich steckte dann nur den Kopf aus der Luke, die gerade über der Pritsche angebracht war, und machte die Meldung, dass ich krank sei. Dann kam das Zugspersonal, das aus 3 Mann bestand, zu mir herein, um sich zu wärmen, aber sie fanden nicht viel Wärme, denn ich vermied es womöglich den alten leicht explodierenden Eisenofen zu benützen. Ich lag lieber in einen alten warmen Mantel eingepackt und mit verschiedenen Fellen zugedeckt, die ich den Bauern nach und nach abgekauft hatte. "Du bist oft krank" sagten sie mir "Du bist ein kränklicher Mensch. Du wirst nicht mehr von hier fortkommen. " Sie sagten es nicht etwa um mich traurig zu machen, sondern sie hatten das Bestreben, wenn es nur möglich, die Wahrheit rund herauszusagen. Sie taten das meistens unter einem eigentümlichen Glotzen der Augen.

Einmal im Monat, aber immer zu verschiedenen Zeiten kam ein Inspektor, um mein Vormerkbuch zu überprüfen, das eingenommene Geld mir abzunehmen und - dies aber nicht immer - den Lohn mir auszuzahlen. Seine Ankunft wurde mir immer einen Tag vorher von den Leuten angezeigt, die ihn in der letzten Station abgesetzt hatten. Diese Anzeige hielten sie für die größte Wohltat, die sie mir erweisen konnten, trotzdem ich natürlich jeden Tag alles in Ordnung hatte. Es war auch nicht die geringste Mühe dazu nötig. Aber auch der Inspektor betrat immer die Station mit einer Miene, als müsse er diesmal meine Mißwirtschaft unbedingt aufdecken. Die Tür der Hütte öffnete er immer mit einem Kniestoß und sah mich dabei an. Kaum hatte er mein Buch aufgeschlagen, fand er einen Fehler. Es brauchte lange Zeit, ehe ich durch nochmalige Rechnung vor seinen Augen ihm nachwies, dass nicht ich sondern er einen Fehler begangen hatte. Immer war er mit meiner Einnahme unzufrieden, dann schlug er klatschend auf das Buch und sah mich wieder scharf an. "Wir werden die Bahn einstellen müssen" sagte er jedesmal. "Es wird dazu kommen" antwortete ich gewöhnlich.

Nach beendeter Revision änderte sich unser Verhältnis. Ich hatte immer Schnaps und womöglich irgendeine Delikatesse vorbereitet. Wir tranken einander zu, er sang mit einer erträglichen Stimme, aber immer nur zwei Lieder, eines war traurig und begann: Wohiri gehst Du kleines Kind im Walde?, das zweite war lustig und fieng so an: "Fröhliche Gesellen, ich gehöre zu Euch! " Je nach der Laune, in die ich ihn zu versetzen imstande war, bekam ich meinen Lohn in Teilen ausgezahlt. Aber nur am Anfang solcher Unterhaltungen beobachtete ich ihn mit irgendeiner Absicht, später wurden wir ganz einig, beschimpften schamlos die Verwaltung, ich bekam geheime Versprechungen ins Ohr geflüstert über die Karriere, die er für mich erwirken wollte und schließlich fielen wir gemeinsam auf die Pritsche nieder in einer Umarmung die wir oft zehn Stunden nicht lösten. Am nächsten Morgen reiste er wieder als mein Vorgesetzter weg. Ich stand vor dem Zug und salutierte er drehte sich während des Einsteigens gewöhnlich noch nach mir um und sagte: "Also Freundchen, in einem Monat sehn wir uns wieder. Du weißt was für Dich auf dem Spiel steht. " Ich sehe noch sein mir mit Mühe zugewendetes verquollenes Gesicht, alles drängte in diesem Gesichte vor, die Wangen, die Nase, die Lippen.

Das war die einmalige große Abwechslung im Monat, bei der ich mich gehen ließ; war irrtümlich etwas Schnaps zurückgeblieben, dann soff ich es gleich nach der Abfahrt des Inspektors aus, meistens hörte ich noch das Abfahrtssignal des Zuges, während es schon in mich hineingurgelte. Der Durst nach einer solchen Nacht war fürchterlich; es war als ob in mir ein zweiter Mensch wäre, der aus meinem Mund seinen Kopf und Hals streckte und nach etwas Trinkbarem schrie. Der Inspektor war versorgt, der führte in seinem Zug immer großen Trinkvorrat mit sich, ich aber war auf die Reste angewiesen.

Dann aber trank ich den ganzen Monat lang nichts ich rauchte auch nicht, ich machte meine Arbeit und wollte nichts anderes. Es war wie gesagt nicht viel Arbeit aber ich machte sie gründlich. Ich hatte z. B. die Verpflichtung, die Geleise einen Kilometer weit rechts und links von der Station täglich zu reinigen und zu untersuchen. Ich hielt mich aber nicht an diese Bestimmung und ging oft viel weiter, so weit, dass ich gerade noch die Station sehen konnte. Bei klarem Wetter war das noch bei etwa 5 km Entfernung möglich, das Land war ja ganz flach. War ich dann soweit, dass die Hütte in der Ferne mir schon vor den Augen fast nur flimmerte, sah ich manchmal infolge der Augentäuschung viele schwarze Punkte sich zur Hütte hin bewegen. Es waren ganze Gesellschaften, ganze Trupps. Manchmal aber kam wirklich jemand, dann lief ich, die Hacke schwingend, die ganze lange Strecke zurück.

Gegen Abend war ich mit meiner Arbeit fertig und zog mich endgültig in die Hütte zurück. Gewöhnlich kam um diese Zeit auch kein Besuch, denn der Rückweg in die Dörfer war bei Nacht nicht ganz sicher. Es trieb sich verschiedenes Gesindel in der Gegend herum, aber es waren nicht Eingeborene, sie wechselten auch, sie kamen allerdings auch wieder zurück. Ich bekam die meisten zu sehn, die einsame Station lockte sie an, sie waren nicht eigentlich gefährlich, aber man mußte streng mit ihnen umgehn.

Sie waren die einzigen die mich um die Zeit der langen Dämmerung störten. Sonst lag ich auf der Pritsche, dachte nicht an die Vergangenheit, dachte nicht an die Bahn, der nächste Zug fuhr erst zwischen 10 und 11 Uhr abends durch, kurz ich dachte an gar nichts. Hie und da las ich eine alte Zeitung die man mir vom Zug aus zugeworfen hatte, sie enthielt Skandalgeschichten aus Kalda, die mich interessiert hätten, die ich aber aus der einzelnen Nummer allein nicht verstehen konnte. Außerdem stand in jeder Nummer die Fortsetzung eines Romans der hieß "die Rache des Kommandeurs". Von diesem Kommandeur, der immer einen Dolch an der Seite trug, bei einer besondern Gelegenheit hielt er ihn sogar zwischen den Zähnen, träumte ich einmal. Übrigens konnte ich nicht viel lesen, da es bald dunkel wurde und Petroleum oder ein Talglicht unerschwinglich teuer waren. Von der Bahn bekam ich für den Monat nur ein 1/2 Liter Petroleum geliefert, das ich lange vor Ablauf des Monats verbraucht hatte, um bloß abend während einer 1/2 Stunde das Signallicht für den Zug zu erhalten. Aber dieses Licht war auch gar nicht nötig und ich zündete es später wenigstens in Mondnächten gar nicht mehr an. Ich sah ganz richtig voraus, dass ich nach Ablauf des Sommers das Petroleum sehr dringend brauchen würde. Ich grub daher in einer Ecke der Hütte eine Grube aus, stellte dort ein altes Bierfäßchen auf und schüttete jeden Monat das ersparte Petroleum ein. Das ganze war mit Stroh zugedeckt und niemand merkte etwas. Je mehr es in der Hütte nach Petroleum stank, desto zufriedener war ich; der Gestank wurde deshalb so groß, weil es ein Faß aus altem brüchigem Holz war, das sich voll Petroleum tränkte. Später grub ich das Faß aus Vorsicht außerhalb der Hütte ein, denn der Inspektor protzte einmal mir gegenüber mit einer Schachtel Wachszündhölzchen und warf sie, als ich sie haben wollte, eine nach der andern brennend in die Luft. Wir beide und besonders das Petroleum waren in wirklicher Gefahr, ich rettete alles, indem ich ihn solange würgte bis er alle Zündhölzchen fallen ließ.

In meinen freien Stunden dachte ich öfters darüber nach, wie ich mich für den Winter versorgen könnte. Wenn ich schon jetzt in der warmen Jahreszeit fror - und es war, wie man sagte, wärmer als seit vielen Jahren - würde es mir im Winter sehr schlecht gehn. dass ich Petroleum aufhäufte, war nur eine Laune, ich hätte vernünftiger Weise vielerlei für den Winter sammeln müssen; dass sich die Gesellschaft meiner nicht besonders annehmen würde, daran war ja kein Zweifel, aber ich war zu leichtsinnig oder besser gesagt ich war nicht leichtsinnig aber es lag mir zu wenig an mir selbst, als dass ich mich in dieser Hinsicht hätte sehr bemühen wollen. Jetzt in der warmen Jahreszeit gieng es mir leidlich, ich beließ es dabei und unternahm nichts weiter.

Eine der Verlockungen, die mich in diese Station gebracht hatten, war die Aussicht auf Jagd gewesen. Man hatte mir gesagt, es sei eine außerordentlich wildreiche Gegend und ich hatte mir schon ein Gewehr gesichert, das ich mir, wenn ich einiges Geld erspart haben würde, nachschicken lassen wollte. Nun zeigte sich dass von jagdbarem Wild hier keine Spur war, nur Wölfe und Bären sollten hier vorkommen, in den ersten Monaten sah ich keine, und außerdem waren eigentümliche große Ratten hier, die ich gleich beobachten konnte, wie sie in Mengen wie vom Wind geweht über die Steppe liefen. Aber das Wild, auf das ich mich gefreut hatte gab es nicht. Die Leute hatten mich nicht falsch unterrichtet, die wildreiche Gegend bestand, nur war sie drei Tagereisen entfernt, - ich hatte nicht bedacht, dass die Ortsangaben in diesen über hunderte km hin unbewohnten Ländern notwendiger Weise unsicher sein müssen. Jedenfalls brauchte ich vorläufig das Gewehr nicht und konnte das Geld für anderes verwenden; für den Winter mußte ich mir allerdings ein Gewehr anschaffen und ich legte dafür regelmäßig Geld beiseite. Für die Ratten, die manchmal meine Nahrungsmittel angriffen genügte mein langes Messer. In der ersten Zeit als ich noch alles neugierig auffaßte, spießte ich einmal eine solche Ratte auf und hielt sie vor mir in Augenhöhe an die Wand. Man sieht kleinere Tiere erst dann genau, wenn man sie vor sich in Augenhöhe hat; wenn man sich zu ihnen zur Erde beugt und sie dort ansieht, bekommt man eine falsche unvollständige Vorstellung von ihnen. Das Auffallendste an diesen Ratten waren die Krallen, groß, ein wenig gehöhlt und am Ende doch zugespitzt, sie waren sehr zum Graben geeignet. Im letzten Krampf, in dem die Ratte vor mir an der Wand hieng, spannte sie dann' die Krallen scheinbar gegen ihre lebendige Natur straff aus, sie waren einem Händchen ähnlich, das sich einem entgegenstreckt. Im allgemeinen belästigten mich diese Tiere wenig, nur in der Nacht weckten sie mich manchmal wenn sie im Lauf auf dem harten Boden klappernd an der Hütte vorbeieilten. Setzte ich mich dann aufrecht und zündete etwa ein Wachslichtchen an, so konnte ich irgendwo in einer Lücke unter den Bretterpfosten die von außen hereingesteckten Krallen einer Ratte fieberhaft arbeiten sehn. Es war ganz nutzlose Arbeit, denn um für sich ein genügend großes Loch zu graben, hätte sie tagelang arbeiten müssen und sie entfloh doch schon, sobald der Tag nur ein wenig sich aufhellte, trotzdem arbeitete sie, wie ein Arbeiter, der sein Ziel kennt. Und sie leistete gute Arbeit, es waren zwar unmerkliche Teilchen, die unter ihrem Graben aufflogen, aber ohne Ergebnis wurde die Kralle wohl niemals angesetzt. Ich sah in der Nacht oft lange zu, bis mich die Regelmäßigkeit und Ruhe dieses Anblicks einschläferte. Dann hatte ich nicht mehr die Kraft das Wachslichtchen zu löschen und es leuchtete noch ein Weilchen der Ratte bei ihrer Arbeit. Einmal in einer warmen Nacht, gieng ich, als ich wieder diese Krallen arbeiten hörte, vorsichtig, ohne ein Licht anzuzünden hinaus um das Tier selbst zu sehn. Es hatte den Kopf mit der spitzen Schnauze tief gesenkt, fast zwischen die Vorderbeine eingeschoben um nur möglichst eng an das Holz heranzukommen und möglichst tief die Krallen unter das Holz zu schieben. Man hätte glauben können, jemand halte in der Hütte die Krallen fest und wolle das ganze Tier hineinziehn, so sehr war alles angespannt. Und doch war auch alles mit einem Tritt beendet, durch den ich das Tier totschlug. Ich durfte bei völligem Wachsein nicht dulden, dass meine Hütte, die mein einziger Besitz war, angegriffen wurde.

Um die Hütte gegen diese Ratten zu sichern, stopfte ich alle Lücken mit Stroh und Werg zu und untersuchte jeden Morgen den Boden ringsherum. Ich beabsichtigte auch den Boden der Hütte, der bisher nur festgestampfte Erde war, mit Brettern zu belegen, was auch für den Winter nützlich sein konnte. Ein Bauer aus dem nächsten Dorf, namens Jekoz, hatte mir längst versprochen, zu diesem Zweck schöne trockene Bretter zu bringen, ich hatte ihn auch schon für dieses Versprechen öfters bewirtet, er blieb auch niemals längere Zeit aus, sondern kam alle 14 Tage, hatte auch manchmal Versendungen mit der Bahn auszuführen, aber die Bretter brachte er nicht. Er hatte verschiedene Ausreden dafür, meistens die, dass er selbst zu alt sei, um eine solche Last zu schleppen und dass sein Sohn, der die Bretter bringen würde, gerade mit Feldarbeiten beschäftigt sei. Nun war Jekoz nach seiner Angabe und es schien auch richtig zu sein weit über 70 Jahre alt, aber ein großer, noch sehr starker Mann. Außerdem änderte er auch seine Ausreden und sprach ein anderes Mal von den Schwierigkeiten der Beschaffung so langer Bretter wie ich sie brauchte. Ich drängte nicht, ich brauchte die Bretter nicht notwendig, erst Jekoz selbst hatte mich überhaupt auf den Gedanken gebracht, den Boden zu belegen, vielleicht war ein solcher Belag gar nicht sehr vorteilhaft, kurz, ich konnte ruhig die Lügen des Alten anhören. Mein ständiger Gruß war: "Die Bretter, Jekoz!" Sofort begannen in einer halb gelallten Sprache die Entschuldigungen, ich hieß Inspektor oder Hauptmann, oder auch nur Telegraphist, er versprach mir nicht nur die Bretter nächstens zu bringen sondern mit Hilfe seines Sohnes und einiger nachbarn meine ganze Hütte abzutragen und ein festes Haus statt ihrer aufzubauen. Ich hörte solange zu bis es mich müde machte und ich ihn hinausschob. Aber noch in der Tür hob er, um Verzeihung zu erlangen, die angeblich so schwachen Arme, mit denen er in Wirklichkeit einen erwachsenen Mann hätte zerdrücken können. Ich wußte, warum er die Bretter nicht brachte, er dachte bis der Winter näher käme, würde ich die Bretter dringender brauchen und besser bezahlen, außerdem hätte er selbst, solange die Bretter nicht geliefert seien, einen größern Wert für mich. Nun war er natürlich nicht dumm und wußte, dass ich seine Hintergedanken kannte, aber darin, dass ich diese Kenntnis nicht ausnützte, sah er seinen Vorteil und den wahrte er.

Alle Vorbereitungen aber, die ich machte, um die Hütte gegen die Tiere zu sichern und mich für den Winter zu verwahren, mußten eingestellt werden, als ich - das erste Vierteljahr meines Dienstes näherte sich seinem Ende - ernstlich krank wurde. Ich war bis dahin jahrelang von jeder Krankheit, selbst vom leichtesten Unwohlsein verschont geblieben, diesmal wurde ich krank. Es begann mit einem starken Husten. Etwa zwei Stunden landeinwärts von der Station entfernt, war ein kleiner Bach, aus dem ich in einem Faß auf einem Schubkarren meinen Wasservorrat zu holen pflegte. Ich badete dort auch öfters und dieser Husten war die Folge dessen. Die Hustenanfälle waren so stark, dass ich mich beim Husten zusammenkrümmen mußte, ich glaubte dem Husten nicht widerstehen zu können, wenn ich mich nicht zusammenkrümmte und so alle Kräfte zusammennahm. Ich dachte das Zugspersonal würde über den Husten entsetzt sein, aber sie kannten ihn, sie nannten ihn Wolfshusten. Seitdem begann ich das Heulen aus dem Husten herauszuhören. Ich saß auf dem Bänkchen vor der Hütte und begrüßte heulend den Zug, heulend begleitete ich seine Abfahrt. In den Nächten kniete ich auf der Pritsche, statt zu liegen und drückte das Gesicht in die Felle, um mir wenigstens das Anhören des Heulens zu ersparen. Ich wartete gespannt, bis das Springen irgendeines wichtigern Blutgefäßes allem ein Ende machen würde. Es geschah aber nichts derartiges und der Husten war sogar in wenigen Tagen vergangen. Aber ein Fieber blieb zurück und verlor sich nicht.

Dieses Fieber machte mich sehr müde, ich verlor alle Widerstandskraft, es konnte geschehn, dass mir ganz unerwartet auf der Stirn Schweiß ausbrach, ich zitterte dann am ganzen Leib und mußte mich, wo ich auch war, niederlegen und warten bis sich die Sinne wiederzusammenfanden.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at