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[An Ottla Kafka]


[Prag,] 10 VII 14
 

Liebe Ottla nur paar Worte in Eile vor dem Versuch zu schlafen, der in der gestrigen Nacht gänzlich mißlungen ist. Du hast mir, denke nur, mit Deiner Karte einen verzweifelten Morgen in Augenblicken erträglich gemacht. Das ist das wahre Reiben und so wollen wir es bei Gelegenheit weiter üben, wenn es Dir recht ist. Nein, ich habe niemanden sonst am abend. Von Berlin schreibe ich Dir natürlich, jetzt läßt sich weder über die Sache noch über mich etwas Bestimmtes sagen. Ich schreibe anders als ich rede, ich rede anders als ich denke, ich denke anders als ich denken soll und so geht es weiter bis ins tiefste Dunkel.

Franz


Grüße alle! Den Brief mußt Du weder zeigen, noch herumliegen lassen. Am besten Du zerreißt ihn und streust ihn in kleinen Stücken von der Pawlatsche den Hühnern im Hof, vor denen ich keine Geheimnisse habe.




Text dieses Briefes bereits in Br 130

Offenbar nach Radesovice (vgl. F 607 und 611) adressiert, wo sich in jenen Jahren die Sommerwohnung der Familie Kafka befand. (vgl. F 415 und 427).


über die Sache: Kafka fuhr am 11. Juli 1914 zu einer Aussprache mit Felice nach Berlin; einen Tag später wurde das Verlöbnis im Hotel "Askanischer Hof" gelöst. (Vgl. auch die Anmerkungen zu Nr. 21).


Pawlatsche: Aus dem Italienischen "parvola loggia" ins Tschechische und von dort in Deutsche übernommene Wort. Bezeichnet einen langen Balkon an der Hofinnenseite vieler älterer Prager Häuser. Im volkstümlichen Tschechisch kann "pavlač" auch einen gewöhnlichen Balkon bezeichnen; so ist es scherzhaft hier gemeint.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at