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Frau Julie Kafka an die Familie Bauer zum Tode von Felicens -Vater

[Monogramm am Kopf des Bogens >H. K. <]

Prag 27.11 .1914
 


Meine Lieben!

Wir haben Euch unser Beileid telegrafisch übermittelt, aber es drängt

mich aus der Tiefe meines Herzens, Euch auch schriftlich unsere innigste Theilnahme an dem herben Verluste, den Ihr erlitten, auszusprechen'. Worte sind zu schwach, um Euch unseren Schmerz beim Erhalt der Trauernachricht zu schildern. Ich weiß, dass es verlorene Mühe wäre, Euch trösten zu wollen, nur die Zeit wird den Schmerz lindern können. Du liebe gute Anna mußt trachten, Dich Deinen lieben Kindern zu erhalten, denn wenn man sich alles wohl überlegt, ist das Sterben nicht das Ärgste, besonders wenn man so stirbt, wie Dein lieber Mann, ohne jeden Todeskampf, das muß Euch allen in diesen schweren Tagen ein Trost sein.

Wahrscheinlich hat auch bei diesem Todesfall der Krieg viel verschuldet, denn die täglichen großen Aufregungen legen sich nicht in die Kleider.

Auch wir haben große Sorgen. Unser Schwiegersohn Peppo ist vor 3 Wochen mit einer Handverwundung nach Hause gekommen. Wie lange die Heilung dauern wird, wissen wir noch nicht. Vom l. Karl haben wir öfters Nachrichten. Meine ganze Familie nimmt innigsten Antheil an Euerer Trauer, besonders mein Mann, der den Verewigten wie einen wahren Freund liebte. Auch wir hatten vor 6 Wochen einen schmerzlichen Verlust erlitten. Der älteste Bruder meines Mannes, Filip Kafka aus Kolin, ist nach kurzer Krankheit gestorben. Es war im 68. Jahre u. war schon sein letzter Bruder. Zwei jüngere sind ihm im Tode vorangegangen.

So geht Einer nach dem Anderen.

Bitte Euch der l. Tante Emilie unser Beileid zu übermitteln, für sie ist es auch ein großer Verlust, den sie nicht so leicht überwinden wird.

Nun lebet recht wohl und seid immer unserer Freundschaft versichert


wie es wünscht Euere Julie Kafka




unsere innigste Theilnahme an dem herben Verluste: Am 5. November starb Carl Bauer plötzlich an einem Herzschlag. Kafka deutete diesen Tod, den er zur Auflösung seines Verlöbnisses in Beziehung setzte, als ein Zeichen des "Verderbens", das er über diese Familie brachte. Vgl. Tagebücher (5. Dezember 1914), S.446.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at