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Frau Julie Kafka an Frau Anna Bauer
[Monogramm am Kopf des Bogens >H.K.<]
Meine l. Anna!
Ich kann Dich nicht anders nennen, denn ich bin Dir gut. Wenn sich auch
unsere Kinder entzweit haben, darf unsere Freundschaft nicht wanken und
nicht darunter leiden. Was zwischen ihnen vorgekommen ist, kann ich nicht
begreifen, es ist mir unverständlich. Dienstag kam von Franz ein Brief
von Berlin. Wir hatten viel zu thun. Der l. Hermann reichte mir den Brief
uneröfnet und ich ließ alles liegen u. stehn, ging ins Comptoir
um nicht beim lesen gestört zu sein. Wer mich beim lesen beobachtet
hätte, würde sicher über mein Aussehn erschrocken sein,
denn ich war zur Salzsäule erstarrt, alles hätte ich eher gedacht
als dieß. Ich war den ganzen Tag wie zerschlagen und war nur froh,
dass mich mein Alter nicht gefragt hat, was Franz schreibt. Er hat
in der Beschäftigung vergessen, dass ein Brief von Franz kam.
Erst den zweiten Tag, nachdem er ausgeschlafen hat, habe ich ihn gefragt,
ob er gar nicht neugierig ist was sein Sohn schreibt u. da habe ich ihm
den Brief vorgelesen. Du kannst Dir denken wie ihm dabei war. Du würdest
mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Du mir den
Brief, der so verhängnisvoll war, einschicken würdest, denn
ich kann gar nicht begreifen, was darin so Schreckliches stand. Daß
Franz Felice in seiner Art sehr gerne hatte, weis ich. Er hatte aber nie
die Gabe besessen, seine Liebe wie andere Menschenkinder zu zeigen. Ich
bin davon fest überzeugt, dass er mich zärtlich liebt, er
hat mir trotzdem nie besondere Zärtlichkeit bewiesen, auch dem Vater
und seinen Schwestern nicht und doch ist er der beste Mensch, den Du Dir
denken kannst. Sein Geld theilt er mit seinen armen Kollegen, denn für
seine Bedürfnisse braucht er nicht viel. Vielleicht ist er nicht
für die Ehe geschaffen, denn sein trachten ist nur sein Schreiben,
das ist ihm das Wichtigste im Leben. Dabei baute ich auf die Klugheit Felicens,
denn ich sagte mir, dass eine gescheite Frau die Kraft besitzt, einen
Mann umzumodln. Nunn ging meine Hoffnung in Brüche. Vielleicht müssen
wir doch noch nicht die Flinte ins Korn werfen. Die Kinder sollen nicht
gänzlich die Freundschaft brechen, sie mögen sich ein Jahr gegenseitig
prüfen, es hat ja keine Eile mit dem Heiraten, sie sind noch jung
u. können warten. Dieß ist meine Meinung u. bitte ich Dich um
die Deinige.
Heute kam ein Brief von meinem Bruder Alfred aus Madrid, der mich wieder
vom frischen aufregte. Er schickte beiliegend einen Scheck auf den Betrag
von 1000 Kronen als Hochzeitsgeschenk für Franz u. Felice. Ich schrieb
ihm auch jetzt Abend einen Brief in welchem ich anfrage, wie ich ihm das
Geld zurückschicken kann. Ich schreibe diesen Brief um 10 Uhr Abend,
denn bei Tag habe ich keine Minutte Zeit. Das Armband welches ich Felice
schenkte, soll sie als Andenken an eine mütterliche Freundin behalten.
Ich muß schließen, denn das Papier geht zu Ende. Ich grüße
Dich herzlichst, so wie auch alle Deine Lieben und bleibe freundschaftlichst
Deine Julie Kafka
Von unserem l. Manne u. Kindern folgen viele Grüße.
den Brief : Vermutlich einer der Briefe an Grete
Bloch aus der Zeit von Anfang Mai bis Ende Juni 1914. In diesen Briefen
sind mehrere Zeilen die starke Zweifel Kafkas an der Möglichkeit einer
Ehe mit Felice ausdrücken, wahrscheinlich von Grete Bloch zum Zweck
der Zitierung beim "Gerichtshof im Hotel" (Askanischer Hof),
rot unterstrichen worden. Vgl. in Kafkas Brief an Grete Bloch vom 3. Juli
1914: "Sie hätten keine Briefe citieren müssen...",
S. 608.
für seine Bedürfnisse braucht er nicht viel:
Vgl. Wagenbach, Biographie, S. 149.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at